Cimabue im Louvre :
Als Kaiser Napoleon den „Ochsenkopf“ stahl

Von Bettina Wohlfarth, Paris
Lesezeit: 4 Min.
Figuren mit Volumen vor Goldgrund: Von Engeln umgebende thronende Muttergottes mit Jesuskind
Er gilt als Erfinder der italienischen Frührenaissance: Eine fulminante Ausstellung im Louvre wirft neues Licht auf den Maler Cimabue.
Merken

Von Cimabue wurden nur wenige dokumentarische Spuren überliefert. Umso größer war in der Vergangenheit die Versuchung, Legenden um sein Leben zu ranken. Durch Zu- oder Abschreibungen blieb auch der schmale Werkkorpus lange Zeit im Unklaren. Heute herrscht über etwa zehn Tafelgemälde Einigkeit, außerdem stammen eine Freskengruppe in Assisi und Mosaike in Florenz und in Pisa von Cimabue.

Es gibt nur vier Dokumente, in denen der Maler zu Lebzeiten erwähnt wurde, entweder unter seinem tatsächlichen Namen Cenni di Pepo oder unter dem Spitznamen Cimabue, mit dem er schließlich in die Kunstgeschichte einging. Womöglich könnte dieser buchstäbliche „Ochsenkopf“ den Eigensinn und die Beharrlichkeit des Künstlers bezeichnen. ­Dokumentiert wurde, dass er aus Florenz stammte, sich um 1272 in Rom aufhielt, 1301 in Pisa lebte und 1302 starb. Das Geburtsjahr des Florentiners, 1240, nennt erst Giorgio Vasari, der dreihundert Jahre später seine berühmten Viten mit Cimabue beginnen lässt.

Eine Fliege auf der Nasenspitze

Vasari zufolge malte der junge Giotto eines Tages heimlich eine Fliege auf die Nase einer Figur des Meisters. Cimabue hielt sie für echt und wollte sie wegscheuchen. Mit diesem Späßchen hatte Giotto den Lehrer metaphorisch aus dem Feld geschlagen. Indirekt erzählt die Anekdote, dass die von Cimabue eingeführte realistischere, naturalistischere Art der Darstellung die symbolisch-schematische Malerei der mittelalterlichen Ikonen endgültig abgelöst hatte. Diesen Weg in die Renaissance zeigt die Ausstellung im Louvre unter dem Titel „Cimabue neu sehen – Zu den Ursprüngen der italienischen Malerei“.

Die Bibel in Bildern: Mit seinen Darstellungen der thronenden Muttergottes machte Cimabue Schule, wie hier bei der Maestà des Meisters von San Martino zu sehen.
Die Bibel in Bildern: Mit seinen Darstellungen der thronenden Muttergottes machte Cimabue Schule, wie hier bei der Maestà des Meisters von San Martino zu sehen.Musee du Louvre

Die Schau versammelt etwa vierzig Werke um zwei hauseigene Tafelgemälde des Florentiner Meisters, die in den vergangenen Jahren eingehend im Labor des Louvre untersucht und perfekt restauriert wurden: die monumentale Maestà, die Cimabue für die Kirche San Francesco in Pisa geschaffen hatte und Napoleon 1813 in den Louvre verschleppen ließ, außerdem ein kleines Tafelgemälde, das die „Verspottung Christi“ zeigt.

Letzteres gehörte zu einem Andachtsdiptychon mit Szenen der Passions­geschichte und wurde erst 2019 in einem Auktionsinventar in Frankreich als ein Cimabue erkannt. Der Louvre hatte die Tafel – als nationales Kulturgut eingestuft – nach der Versteigerung zum erzielten Preis von gut 24 Millionen Euro erworben. Die beiden Bildwerke wurden bei der Restaurierung von Übermalungen und Schichten oxidierten Lacks befreit, die mit den Jahrhunderten die Farben verdunkelt hatten. Feine Nuancen, Details und Inschriften sind nun sichtbar geworden. Durch die eingehende Befassung mit den beiden Gemälden konnten neue Erkenntnisse zu Cimabues künstlerischen Innovationen gewonnen werden, die nun in der vom Louvre-Kurator Thomas Bohl ausgerichteten Ausstellung und dem begleitenden Katalog vorgestellt werden. Immerhin versammelt die Schau sechs Werke des toskanischen Meisters.

Außergewöhnliche Leihgaben

Das künstlerische Umfeld in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts, als Cimabue seine Ausbildung begann, wird durch außergewöhnliche Leihgaben veranschaulicht. Die „Kreuzigung“ von Giunta Pisano (um 1250), der als Lehrmeister Cimabues gilt, wurde vom Nationalmuseum in Pisa trotz ihrer Fragilität nach Paris geschickt. Die Gestaltung der Gesichtszüge und des Körpers der Jesusfigur sind noch stilisiert und schemenhaft.

Gern hätte man sie im Vergleich neben Cimabues „Triumphkreuzen“ aus Arezzo (um 1270) und Florenz (um 1287) gesehen, die leider nicht verliehen wurden. Mehrere Maestà-Darstellungen – darunter die „Kahn-Madonna“ und die „Mellon-Madonna“ aus der Washingtoner National Gallery oder eine Jungfrau mit Kind des anonymen Meisters von Bigallo – zeigen, dass der byzantinische Stil und die maniera greca der orientalischen Ikonenmalerei für die religiösen Gemälde der toskanischen Künstler noch bis über die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts hinaus Vorbild standen. Die Andachtswerke galten als Acheiropoíeta, als nicht von Menschenhand geschaffen.

Ein Hauch von Weltlichkeit

Cimabue führte in den hieratischen Darstellungsstil der religiösen Szenen etwas Weltliches ein. Zu seiner Zeit wurde das Renommee der Künstler wichtig, die deshalb nach Originalität suchten. Seine etwa vier auf drei Meter große Maestà, die in leuchtenden Farben neu erstrahlend im Mittelpunkt der Ausstellung steht, wird auf 1280 datiert. Die Franziskaner-Brüderschaft in Pisa hatte Cimabue als damals wichtigsten Maler der Toskana mit der Ausführung beauftragt. Durch die jüngsten Untersuchungen, die Reste von Eisenhalterungen zutage brachten, ergab sich, dass die monumentale Tafel auf dem Lettner der Kirche San Francesco hing.

Geißelung Christi: Cimabue malte die Szene aus der Passion um 1280 auf Holz
Geißelung Christi: Cimabue malte die Szene aus der Passion um 1280 auf HolzMichael Bodycom/The Frick Collection

Cimabue erfand für das geläufige Thema eine neue Darstellungsweise, ließ Volumen der Körper entstehen, malte in fast realistischer Anatomie etwa die Hände und gab seinen Figuren, der Jungfrau mit dem Kind und den sechs umgebenden Engeln, einen emotionalen Ausdruck. Ein Vergleich mit anderen Gemälden, die von den Achtzigerjahren des dreizehnten Jahrhunderts an das Thema „Jungfrau und Kind“ behandeln, macht deutlich, wie Cimabues Einfluss die Darstellungsweise veränderte, lebendiger werden ließ und etwa seinen Nachfolger Duccio beeinflusste.

Zum ersten Mal werden in der Ausstellung die drei bekannten kleinformatigen Tafelgemälde des einst aus acht Bildern bestehenden Andachtsdiptychons (etwa 1285 bis 1290) zusammen gezeigt. Alle drei wurden in jüngerer Zeit wiederentdeckt. Die „Geißelung Christi“ tauchte 1950 auf und befindet sich heute in der New Yorker Frick Collection, während „Jungfrau und Kind mit zwei Engeln“ aus der National Gallery in London 1999 entdeckt wurde. Bei der vom Louvre kürzlich erworbenen „Verspottung Christi“ treten durch die Restaurierung nun die Farben in ihrer ganzen Subtilität hervor.

Erst jetzt sieht man, wie ausdrucksstark die Gesichter der aufgewiegelten Volksmenge gemalt wurden. Cimabue gab seinen Figuren mit blauen, violetten und orangefarbenen Tuniken die Kleidung seiner Zeit und legte trotz Kleinformat Wert auf realistische anatomische Details. Neue Erkenntnisse zur Optik ließen ihn erste perspektivische Darstellungen verwenden. Dante Alighieri, der 1265 in Florenz geboren wurde und den „Ochsenkopf“ Cenni di Pepo durchaus gekannt haben könnte, erwähnt den Maler im elften, den Hochmütigen gewidmeten Gesang des Purgatoriums seiner „Göttlichen Komödie“ als einst größten Meister, dessen Stern jedoch sank, als er von seinem Schüler Giotto übertroffen wurde.

„Cimabue neu sehen – Zu den Ursprüngen der italienischen Malerei. Im Louvre“, Paris; bis zum 12. Mai. Der Katalog kostet 42 Euro.
  翻译: