Maler Dmitri Wrubel gestorben : Ein flüchtiger Kuss, der bleibt

Der Maler Dmitri Wrubel war in der Kunstgeschichte ausgesprochen bewandert und blieb zu Unrecht ein One-Hit-Wonder. Sein berühmtestes Bild kennt allerdings jeder. Nun ist er mit 62 Jahren gestorben.
Der seit 1990 in Berlin lebende, 1960 in Moskau geborene Künstler Dmitri Wrubel ist zu Unrecht ein One-Hit-Wonder geblieben. Mit seinem im Jahr 1991 auf die Berliner Mauer gemalten und von ihm selbst 2009 erneuerten „Bruderkuss“ zwischen Leonid Breschnew und Erich Honecker wurde er weltberühmt. Wenig verwunderlich, denn Wrubels ebenso ikonisches wie ironisches Historienbild findet sich in der von Touristen zu Tode fotografierten East Side Gallery an der Spree zwischen Berlin-Friedrichshain und Kreuzberg. Zu seiner Ehrenrettung muss gesagt werden: Kaum ein Kommentar zum Untergang der DDR fasst das Dilemma prägnanter in ein Bild. Zwar nutzte Wrubel als Vorlage für seinen Kuss ein Pressefoto von Régis Bossu anlässlich des dreißigsten Jahrestags der DDR 1979, so wie es auch Gerhard Richter bei zeitgeschichtlichen Stoffen hält.
Mit dem Unterschied freilich, dass beim „Bruderkuss“ nichts wie bei dem ebenfalls ostsozialisierten Richter durch einen Mehltau-Schleier der Geschichte verunschärft ist, vielmehr mit schrillen Pop-Art-Farben, die das originale Schwarzweißfoto gar nicht besitzt, verlebendigt wird. Als Kommentar setzte Wrubel auf Russisch und Deutsch den flehentlichen Satz darunter: „Mein Gott, hilf mir, diese tödliche Liebe zu überleben“.

Der in der Kunstgeschichte äußerst bewanderte Maler, Nachfahre von Michail Wrubel, der bedeutendste Künstler der russischen Schwarzromantik, griff schon in der Bildfindung auf die Toxizität manch eines Kusses zurück: Edvard Munchs Endlosserie „Der Kuss“ zeigt in keiner seiner vielen vampirischen Versionen eine, die man selbst erleben wollte. Die Idee des zwistigen Bruderkusses kam ihm, so bekundete Wrubel immer wieder, als er selbst zwischen zwei Frauen und damit zwei Lagern hin und her gerissen war. Warum aber dann die Übersetzung in einen gleichgeschlechtlichen Kuss?
Hierzu gibt es unter vielen die Aussagen der Diktatoren Ceaușescu und Jaruzelski, denen beiden vor Honeckers feuchten Lippen graute. Oder wie der sonst wenig zimperliche General Jaruzelski sich einmal erinnerte: „Er hatte diese ekelhafte Art zu küssen.“
Auch die Ikonographie des Judaskusses schwingt mit, musste doch derselbe Honecker in seinem annus horibilis 1989 Gorbatschow, den er verachtete, was auf Gegenseitigkeit beruhte, den sozialistischen Bruderkuss erweisen. Für Wrubel waren Kunst und Politik durch ihre Prozesshaftigkeit eng verbrüdert, als Mitglied der Piratenpartei engagierte er sich in Berlin. Mittels Kunst wollte er in dortigen Problembezirken wie Marzahn helfen, ein „Evangelisches Projekt“, wie er es taufte, das verwahrloste junge und zahnlose alte Vertreter des Prekariats wiederum nach Fotovorlagen und mit Bibelzitaten darunter in handwerklich meisterlicher Malerei umsetzte, wurde nur in Moskau und Perm gezeigt.
Am Sonntag wurde er nach längerer Krankheit und Koma für tot erklärt. Der Maler wurde nur 62 Jahre alt. Viele seiner Projekte bleiben unvollendet, sein vieldeutiger Kuss aber überlebt.