Prosteste gegen Tourismus : Eine Menge Heuchelei
Wenn auf Mallorca gegen den Massentourismus protestiert wird, Venezianer sich die Besucher mit einem Eintrittsgeld vom Leib halten wollen oder Kampener Kellner jeden Morgen auf dem Festland in den Zug steigen müssen, um den Gästen auf Sylt die Champagnerflaschen zu öffnen, scheint die Frontlinie wie mit dem Lineal gezogen: auf der einen Seite die mit Stau, Wohnungsmangel und Premiumpreisen geplagten Einheimischen, die sich der Fremden nicht mehr anders zu erwehren wissen als durch blanke Wut; und auf der anderen Seite die Übertouristen, die gleich Heuschrecken über die schönsten Ecken der Welt herfallen. Diese Sicht ist eingängig – aber falsch.
Denn den Unterschied, ob jemand Profiteur oder Leidtragender des Massentourismus ist, macht nicht die Herkunft, sondern das Eigentum. Keiner hat finanziell mehr vom Hotelboom, den steigenden Wohnungspreisen und der Landspekulation profitiert als die alteingesessenen Mallorquiner und Sylter. Deshalb steckt in der ganzen Diskussion um den Fremdenverkehr als Landplage auch mehr als ein Quäntchen Heuchelei. Wenn auf Sylt heute Geisterdörfer beklagt werden, in denen außerhalb der Ferien Bewegungsmelder die einzige Lichtquelle sind, dann ist diese Entwicklung eine Folge davon, dass die ursprünglichen Eigentümer ihre Häuser einst meistbietend verkauft haben – und im Zweifelsfall den Hamburger Zahnarzt der jungen Familie vorzogen.
Auch viele Venezianer leben gut davon, ihre Wohnungen via Airbnb an Touristen zu vermieten, während sie selbst in Mestre wohnen. Und auf Mallorca sind aus einfachen Bauern mehrfache Millionäre geworden, weil sie das als Ackerfläche wertlose Land an der Küste teuer an Hotelentwickler verkauft haben und sich auch für den traurigsten Schafstall noch ein Käufer aus Skandinavien oder Deutschland fand.
Nicht wenige, die nun den Ausverkauf ihrer Heimat beklagen, haben einst kräftig daran mitgewirkt und sehr gut verdient. Die Menschen, die heute protestieren, sind häufig Zugezogene, die vom Tourismusboom vor allem die Schattenseite kennen: niedrige Löhne auf der einen, hohe Lebenshaltungskosten auf der anderen Seite. Doch der Grund des Übels sitzt nicht im Charterflugzeug aus Düsseldorf, sondern liegt an einer verkehrten Politik an Ort und Stelle. Dort werden die Bebauungspläne erstellt, die lieber eine weitere Hotelanlage vorsehen als günstige Mietwohnungen. Wer irreguläre Ferienwohnungen verbietet, muss das Verbot auch durchsetzen. Doch stattdessen steigt das touristische Angebot immer weiter – und findet eine Nachfrage.