„Gerry Star“ bei Amazon :
Eine Pfeife will nach oben

Von Oliver Jungen
Lesezeit: 4 Min.
Ein Loser vor dem Herrn: Sascha Nathan als Gerry
Die „Discounter“-Produzenten rollen für Amazon die nächste Kugel. Wieder eine Fremdschäm-Mockumentary, aber diesmal mit klassischem Loser-Plot: „Gerry Star – Der (schlechteste) beste Produzent aller Zeiten“.
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„Fuck it, Dude, let’s go bowling!“ Das war mehr als ein Sechswortsatz, das war ein sogenannter Spirit, ein trotziges Ethos eigenen Rechts: „Careful, man! There’s a beverage here!“ Nirgends kam die auf alles pfeifende, nur auf sich selbst, den Alkohol und die besten Freunde vertrauende Endzeit-Coolness kurz vor der Jahrtausendwende so fulminant zum Ausdruck wie in „The Big Lebowski“ (1998) von den Coen-Brüdern, einer zum Kult gewordenen Hommage an „The Big Sleep“ von 1946.

Man könnte es ein „Cringe-Desaster“ nennen

So ist es erst einmal eine gute Idee, eine weitere Hommage draufzusetzen, natürlich wieder in Übersteigerung des Lebensgefühls der eigenen Zeit, und das ist heute ein desolates, verunsichertes und selbstbetrügerisches. „Gerry Star“, die neue Mockumentary der „Discounter“-Produktionsfirma Pyjama Pictures, an der unter anderem Christian Ulmen beteiligt ist, spielt im Lebowski-Habitat, auf der Bowlingbahn, ersetzt aber den Dude-Spirit von 1998 konsequent durch etwas, das man im Gen-Z-Zielgruppen-Slang Cringe-Desaster nennen könnte: eine Fremdscham-Orgie rund um den lebenstechnisch wie karrieremäßig gescheiterten, aber immer peinlicher, ekliger und großsprecherischer gewordenen „Hit-Produzenten“ Gerhard.

Der nennt sich „Gerry Star“ und hatte vor Jahrzehnten einen Auftritt als Keyboarder des inzwischen erfolgreichen Sängers Ingo Rose (Robert Stadlober). Scheitern ist im Film kein Manko, wenn es mit Würde geschieht. Gerry aber hat keine Gegenexistenz aus Bademantel und ­White-Russian-Expertise kreiert (wie der Dude), sondern hält am illusorischen Glauben fest, er könne Schlager-Sternchen groß machen. Das ist phantastisch gespielt vom phantastischen Sascha Nathan. Vielleicht nicht ganz auf dem Niveau von Jeff Bridges, aber Nathan hat es auch nicht leicht als hundertprozentige „Vollpfeife“.

Die Körperwitze sind plump

Nicht einmal Bowling ist Gerry (oder der Serie) wichtig, auch wenn es dann doch eine herrliche Bowlingszene mit Ben Becker als bierbäuchigem Gegner gibt – zwar kein tänzelnder „Jesus“ wie der von John Turturro gespielte Dude-Rivale, aber ein passabler Antichrist. In der Bowlinghalle lebt Gerry nur, weil er der köstlich struppigen, als Mutter aber weichherzigen Besitzerin der Halle (Andrea Sawatzki) weisgemacht hat, er forme aus ihrer Tochter Stella (Franziska Winkler), die wie ein tapsig naives Riesenbaby wirkt, die neue Britney Spears. Dass Gerry, der sich sonst äußerst schmierig an alles heranwanzt, was weiblich und jung ist, von der Traumtänzerin Stella schon optisch nicht viel hält – Winklers Agentur beschreibt den Körperbau als „kurvig“ –, wird schnell deutlich.

Showdown auf der Bowlingbahn: Sascha Nathan und Ben Becker lassen es rollen.
Showdown auf der Bowlingbahn: Sascha Nathan und Ben Becker lassen es rollen.Petro Domenigg/Prime Video

Erstaunlich, wie plump und alt die Körperwitze hier sind; das gilt auch für Scherze über den kleinwüchsigen Juror bei der Vorauswahl für den Song Contest, um den sich alles dreht („Zwergenaufstand“). Das soll radikal inkorrekt sein, ist aber so einfallslos, dass man sich in einem deutschen Achtzigerjahre-Sketch wähnt.

Drei weitere Figuren gehören zur Kernmannschaft der Serie: der verpeilte alte Zausel Micha (Lars Rudolph), der mit seiner überdrehten Liebe zu Vögeln die Vogelgrippe einschleppt, der Koch Big B (Noah Tinwa) und die mit ihm in erotischer Dauerspannung verbundene apathische Mitarbeiterin Helli (Caro Cult). Zusammen bilden sie die Band „Family Strike“, deren einziges Ziel es ist, beim Deggendorfer Song Contest, dem DSC, ins Finale zu kommen. Dabei passiert allerlei. Vor allem steht Gerry sich selbst im Weg. Erfrischend immerhin ist seine recht treffende Einschätzung der eigenen Erfolgsaussichten, nachdem er den Song gehört hat, den die Band erarbeitet hat: „Ist die größte Scheiße, die ich jemals gehört hab“, brummelt Gerry und geht, kommt dann aber wieder und sagt hoffnungsvoll: „Aber wenn wir Glück haben, sind die anderen noch schlechter.“

Und dann läuft er ohne Hose herum

Die zusammenwachsende Truppe erinnert mitunter stark an das „Discounter“-Personal (peinlich intime Gespräche, Fopperei, Freundschaftsbeweise), zumal es hier wie da einen cholerischen, übergriffigen Chef gibt. Außerdem ist die äußere Form der Fake-Dokumentation identisch. Die einzelnen Figuren erklären also ihre Handlungen und Wahrnehmungen in separaten Testimonials. Auch prominente Gastauftritte gibt es, Ben Becker als weiterer Juror etwa, der – ziemlich lustig – als fast identische Kopie von Gerry angelegt ist.

Nur wirkt das alles in der „Discounter“-Serie charmant jugendlich und rollentechnisch glaubwürdig. Man nimmt gelangweilten jungen Menschen, die im Supermarkt arbeiten, einfach ab, den ganzen Tag nur Blödsinn zu machen. Hier aber zielen Handlung wie Metahandlung oft auf Gags uralter Schule ab. Die unterbegehrte Stella liest etwa ein Buch, das „So legst du jeden Typen flach“ heißt – und kommentiert das auch noch umständlich. Gerry wiederum, wenn er nicht gerade ein Auto beim Einparken zu Klump fährt, wird beim Onanieren im Büro erwischt und springt vor allen ohne Hose herum.

Nicht alles ist dermaßen lahm, hier und da lässt sich prächtig lachen über den unverwüstlichen Loser Gerhard. Auch kann man einen Otto-Waalkes-Witz (untertiteltes Zwitschersprechen mit Vögeln) gar nicht töten. Aber Max Wolter und Tom Gronau (Buch und Regie) zeichnen die Figuren so überdeutlich als Karikaturen, dass die Einzelkommentare oft aufgesagt wirken. In Episode 6 und 7 fällt den Autoren gar nichts mehr ein, die Handlung verläppert vollends. Und allein die hundertfach gesehene Grundidee, eine Gurkentruppe für einen Wettbewerb zu trainieren, hier eben den Song Contest in einer Mehrzweckhalle, ist alles andere als subtil.

Gedacht war die ganze Chose vielleicht als Kurzschluss von „The Big Lebowski“, „Die Discounter“ und „Last Exit Schinkenstraße“, der nicht wirklich überzeugenden, aber lustigeren Amazon-Schlagerstar-Serie von Heinz Strunk; herausgekommen ist eine gut getimte, gut gespielte, aber erzählerisch dürftige Allerweltskomödie. Nichts an Stellas und Gerrys Ambitionen ist interessant, während der Dude uns selbst einen vollgepinkelten Teppich als Mittelpunkt der Welt, seiner Welt, verkauft. Bleibt den Möchtegern-Stars aus „Becky’s Bowling“-Kaschemme nur die Hoffnung, dass die Comedy der anderen im deutschen Fernsehen noch schlechter ist.

Gerry Star – Der (schlechteste) beste ­Produzent aller Zeiten ist ab dem 10. Januar auf Amazon Prime Video abrufbar.
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