Krankenhausreform :
Wer heilt die Sprachlosigkeit?

Christian Geyer-Hindemith
Ein Kommentar von Christian Geyer-Hindemith
Lesezeit: 2 Min.
„Der beste Bundeskanzler“: Lauterbach über Scholz. Die Frage ist: Wer zieht hier wen mit nach unten?
Medizinethiker schlagen Krankenhaus-Alarm: Im Gespräch zwischen Arzt und Patient kommt alles darauf an, dass man sich nicht missversteht. Aber nach wie vor zahlt sich Sprechen nicht aus, Operieren wird belohnt.

Miteinander reden – gibt es einen störanfälligeren Vorgang als dieses alltägliche Geben und Nehmen von scheinbar selbsterklärenden Begriffen? Missverstehen Sie mich richtig! Niklas Luhmann ging um des Prägnanzgewinns willen so weit zu sagen, dass jedes Verstehen eine Art des Missverstehens sei. Hier konnte der Kommunikationsoptimismus der Achtziger- und Neunzigerjahre in der Person des Friedemann Schulz von Thun anknüpfen, dessen Werk „Miteinander reden“ das Kürzelhafte jeder Verständigung unterstrich, die nicht darauf angewiesen ist, zum Wesentlichen zu kommen. Hauptsache, der Gesprächsfaden reißt nicht ab, der die Welt im sprachlichen Sein erhält.

Spätestens bei der Krankenhausreform, die Fragen von Leben und Tod berührt, stößt eine derart von Bedeutungen entlastete Verständigung an ihre Grenzen. Im Gespräch zwischen Arzt und Patient kommt alles darauf an, dass man sich nicht missversteht, wenn es darum geht, Symptome zu rekonstruieren, den Krankheitsgehalt im komplexen Zusammenspiel von Ursachen und Wirkungen möglichst genau zu bestimmen. Doch nach wie vor, so erklärte gestern der Medizinethiker Giovanni Maio im Deutschlandfunk, bestrafe das Krankenhaussystem Ärzte und Pflegekräfte, wenn sie sich Zeit nehmen für Patienten – und mit ihnen Gespräche führten, die über vorgefertigte Abfrageweisen hinaus Zusammenhänge erschließen, begriffliche Schablonen befragen, auch jenen Code des Widerstands öffnen, den Patienten, durchaus psychoanalytisch verstanden, gegen sich selbst richten. Wie früher belohne die auf den Weg gebrachte Krankenhausreform Ärzte, „wenn sie operieren statt zu sprechen“, so formuliert Maio wiederum kürzelhaft den versteckten Ökonomisierungsdruck auch der neuen Vorhaltepauschale, wonach Sprechen sich nicht auszahle.

Die Vergeblichkeit bisheriger Reformanstrengung

Es gehe nicht um kostenblindes ärztliches Agieren, wohl aber um veränderte Anreizsysteme, die das Patientenwohl und seine „natürlich jeweils zu belegenden Erfordernisse“ (Maio) nicht länger als abhängige Vokabel von systemischen Erlösen behandeln, wie es – so der Vorwurf des Medizinethikers – unter dem amtierenden Gesundheitsminister festgeschrieben werden soll.

Die Vergeblichkeit bisheriger Reformanstrengung bringt im selben Sender auch Eugen Brysch, Vorsitzender der Stiftung Patientenschutz, zum Ausdruck. Krasser als Maio spricht Brysch davon, dass in Krankenhäusern die linke Hand weiterhin nicht wisse, was die rechte tue, die vielgelobten digitalen Patientendokumentationen verstehe man nur im Missverstehen, weil doch kaum jemand in diesen Dokumentationen so weit herunterscrolle, dass sich an frühere Stadien der Behandlung anknüpfen lasse.

Gleichsam voraussetzungslos machen sich demnach ärztliche Köpfe am Patientenwohl zu schaffen (als sei die Anzahl dieser Köpfe ein Qualitätsbemessungskriterium), ohne dass es in den Krankenhäusern „Kümmerer“ (Brysch) gebe, die den roten Faden all der nicht geführten Gespräche sicherstellten. Reformfrage eins: Wer heilt die Sprachlosigkeit?

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