Lieder über Baltimore :
Möwen und Menschen wollen weg

Jan Wiele
Ein Kommentar von Jan Wiele
Lesezeit: 2 Min.
Kinder beobachten, was vor dem „Rally 4 Peace“-Konzert von Prince in Baltimore passiert.
Baltimore ist nicht nur Schauplatz realer und fiktiver Gewalt – wie in der Serie „The Wire“ – sondern inspiriert auch immer wieder Musiker. Oft klingen die Ergebnisse traurig, doch es gibt Hoffnung.

Lieder über Baltimore hatten selten einen erfreulichen Anlass. Der Banjospieler Charlie Poole besang 1929 das große Feuer, das 1904 die amerikanische Ostküstenstadt in Schutt und Asche gelegt hatte: Als „another fated city of our land“ wird sie schon darin bezeichnet. Der Folksänger Tim Hardin fand dort immerhin Grund für ein Liebeslied („The Lady Came From Baltimore“), doch auch das geht nicht gut aus. Wolf Biermanns Ballade vom Briefträger William L. Moore aus Baltimore, der für seine Botschaft „Black And White, Unite! Unite!“ 1963 drei Kugeln in den Kopf bekam, imitiert die Schüsse auf der Gitarre.

Den wohl bekanntesten Song mit dem Titel „Baltimore“ sang 1977 Randy Newman. Er beschreibt mit wenigen drastischen Worten eine heruntergekommene Downtown-Gegend, aus der Menschen und Möwen nur noch wegwollen. Seinen ganzen Fatalismus entfaltet das Stück aber erst so recht in der traurigen Reggae-Version von Nina Simone: „Oh, Baltimore / Ain’t it hard just to live.“ Die Fernsehserie „The Wire“, die das Baltimore der Gegenwart als Metropole des Verbrechens zeigt, scheint das Bild nur zu bestätigen, und als dort nun nach dem gewaltsamen Tod des jungen Schwarzen Freddie Gray in Polizeigewahrsam Unruhen ausbrachen und die Nationalgarde anrückte, war der vermeintliche Tiefpunkt der Niedergangsgeschichte erreicht.

Der Song namens „Baltimore“ allerdings, den der Sänger Prince vor wenigen Tagen bei einem „Friedenskonzert“ in der Stadt unter großem Andrang spielte und jetzt im Internet frei zur Verfügung gestellt hat, verwandelt auf erstaunliche Weise seinen traurigen Anlass in positive Energie: Es ist ein Protestsong, der im Text anklagt, in der Musik aber schon selbst die Überwindung ist, so, wie Pete Seegers „We shall overcome“ oder Bob Marleys „Redemption Song“ es vorgemacht haben.

„There ain’t no justice where there ain’t no peace“, mahnt Prince das Land der allgegenwärtigen Ungerechtigkeit gegenüber Schwarzen, und: „Peace is more than the absence of a war.“ Das aber tut er mit einem butterweichen Gospelrock-Ohrwurm, der von Chören getragen und von einem ekstatischen Gitarrensolo emporgehoben wird. Und allen schlechten Nachrichten zum Trotz glaubt man, wenn man diesen Song hört, wenigstens für viereinhalb Minuten daran, dass es nicht nur mit Baltimore wieder aufwärtsgehen wird, sondern bald endlich der große Wandel kommt, mit dessen Versprechen ein Senator aus Illinois amerikanischer Präsident wurde.

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