Tellkamps Werk und Wirken : Märchenerzähler

Es soll sich offenbar um Satire handeln: Anhand von Uwe Tellkamps neuer Erzählung lässt sich die Trennung von Werk und törichten Aussagen aufs Neue erproben.
Am Abend des Tages, der Peter Handke den Literaturnobelpreis brachte, unter dem ausdrücklichen Hinweis eines Jurors der Schwedischen Akademie, man wolle „zurück zum Werk“, fühlte man sich von dieser Maxime inspiriert. Wie töricht auch Schriftsteller sich sonst noch äußern mögen, lautet diese Maxime, wir lassen uns davon als Leser ihrer Belletristik im Urteil über diese nicht beirren. Also auch nicht bei Uwe Tellkamp, dem Autor des wichtigen Zeitromans „Der Turm“ (2008), der an diesem Abend bei den Literaturtagen in Badenweiler auf der Bühne törichterweise sagte, vieles an unserer Gegenwart erinnere ihn an die DDR, und seinen Vorwurf von „Gesinnungskorridoren“ im hiesigen Journalismus erneuerte.
Aber zurück zum Werk: Daraus hören konnte man in Badenweiler zunächst einen Auszug aus dem „Turm“, den der Publizist Rüdiger Safranski dann im Gespräch mit dem Autor unter dem Thema „Dichtung und Wahrheit“ einordnete, auch im Lichte des jetzigen Wende-Jubiläums und den neu entbrannten Debatten um die Genese der Ereignisse um 1989. Gespannter jedoch waren wohl die meisten auf einen Auszug aus einem noch unveröffentlichten Werk, das Tellkamp selbst als „Märchen mit Ausflügen in den Realismus“ beschrieb und dann ein Stück daraus vorlas.
Zensursula
Der Erzähler arbeitet als Chronist im Verteidigungsministerium des fiktiven Stadtstaats Treba, Abteilung Tausendundeine Nacht, und scheint große Freude an Amts- und Militärdeutsch zu haben. Seine Chefin heißt Brigitte Ursula von Cremmen, „genannt Zensursula oder Flinten-Brigitte“. Der russische Präsident heißt darin Wladimir Wladimirowitsch, sein Verteidigungsminister Sergej Sergejewitsch. Des weiteren begegnet ein türkischer Unternehmer von der Firma „Üncürlü Import Export“.
Es soll sich offenbar um Satire handeln. Nach einer Versetzung des Chronisten ins Amt für „Migration und Fortschritt“ wird dieser mit der, so Tellkamp, „2015 über uns hereingebrochenen Septembersituation“ konfrontiert. Die Pointen in Tellkamps neuer Erzählung zielen vor allem auf die miserable Ausstattung der Streitkräfte von Treba sowie die mit jeglicher Einwanderung völlig überforderte Bürokratie. Darüber hinaus zielen sie auch auf die Einwanderer selbst, etwa auf eine „steigende Zahl taubstummer Flüchtlinge“, nachdem im Amt ein Raum für Taubstumme mit speziellen Vorkehrungen eingerichtet worden ist.
Von Safranski gefragt, ob der karikierte Verfallszustand Trebas ebenfalls Züge von dem der späten DDR trage, sagte Tellkamp: Nein, das sei reiner Zufall und habe nichts miteinander zu tun – auch wenn sich in unserer Gegenwart einige Anzeichen einer „Rückkehr zur Planwirtschaft“ fänden. Aber noch einmal zurück zum Werk: Das kommende Märchen soll laut seinem Verfasser eine Fortschreibung des „Turms“ werden, in dem einige Figuren aus diesem wieder auftauchen. Der Auszug daraus machte, rein literaturkritisch gesehen, indessen nicht den Eindruck, über Fernsehsketch-Niveau hinauszuwollen.