Kolumne „Nine to five“ : Lassen sich Familie und Bahn vereinbaren?
Die Rituale von Zugreisenden, wenn mal wieder eine Verspätung angekündigt wird, haben sich über die Jahre verändert. Mit den sinkenden Ansprüchen, die man an die Deutsche Bahn hatte, trat bei Vielfahrern eine gewisse Gelassenheit ein. Viele planen längst zusätzliche zeitliche Puffer ein, wenn sie mit der Bahn unterwegs sind. Das frühere Stöhnen ist einer leicht belustigten Grundstimmung gewichen – „ham wir’s doch gewusst“. Berufliche Termine werden nicht mehr ganz so nah an die errechnete Ankunftszeit gelegt.
Eines der großen Abenteuer dieser Zeit ist und bleibt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Was das angeht, hat die Gesellschaft über die Jahre viel gelernt. Kitaplätze sind nicht mehr zwingend Engpässe. Arbeitgeber wissen Flexibilität inzwischen wertzuschätzen und lassen zwischen Homeoffice und atmenden Arbeitszeiten verschiedene Erleichterungen zu. Auch die Deutsche Bahn ist Teil dieses Themenfelds – und ein weiterer Wackelkandidat in diesem komplizierten Geflecht.
Denn manchmal gibt es keine Alternative. Beide Partner in der Familie haben Verpflichtungen. Ist eine davon mit einer Reise verbunden, kann es schweißtreibend werden: etwa wenn nachmittags auf die Kita-Schließzeit zu achten ist oder auf den halbjährlichen Termin für das Elterngespräch. Und dann hält der ICE auf freier Strecke zwischen Göttingen und Kassel. Da muss man seine Nerven im Griff haben und darauf hoffen, dass das Verhältnis zu Erziehern und Lehrern stabil genug ist, möglicherweise eine Verspätung über den Puffer hinaus auszugleichen. Oder welche anderen Eltern könnten eine halbe Stunde überbrücken? Habe ich eigentlich deren Handynummer?
Sitzen 900 Menschen in einem Zug, hat jede Verspätung eine kleine Geschichte. Ist ein Besuch, ein Meeting, ein Gespräch betroffen, kann es ärgerlich und teuer werden. Hängt daran ein Betreuungskonzept, wird es kompliziert. Hoffen wir, dass das Investitionspaket der Bahn bald Früchte trägt.