Referendum in Chile : Keine Verfassung für alle

Die Chilenen haben den Entwurf einer neuen Verfassung deutlich abgelehnt; er war ihnen wohl zu radikal. Jetzt müssen alle aufeinander zugehen, damit das Projekt noch gelingt.
Fast hätte eine Fahrpreiserhöhung für die U-Bahn um vier Cent zu einer neuen Verfassung in Chile geführt. Im Jahr 2019 brannten Metrostationen, Hunderttausende gingen gegen die soziale Ungleichheit auf die Straße, das ehemals konservative Land machte einen Satz nach links.
Die Protestbewegung war vor allem jung, war weiblich wie männlich und ebnete dem linken Politiker Gabriel Boric, selbst ein früherer Anführer von Studentenprotesten, Anfang dieses Jahres den Weg ins Präsidentenamt.
Vor allem aber sollte die Verfassung aus der Diktatur der Pinochet-Zeit weg. Zunächst sah es danach aus, dass sich Chile eine neue Verfassung gibt, deren Entwurf die „Washington Post“ als „woke“ bezeichnete. Der Mehrheit war er aber wohl zu radikal, in einem Plebiszit lehnten die Chilenen ihn ab.
Die Arbeit geht von vorne los
Ausschlaggebend waren nicht übermächtige rechte Medienkampagnen, wie Linke behaupten. Boric konnte schließlich erst vor Kurzem eine Wahl für sich entscheiden. Die Verfassunggebende Versammlung war jedoch von linken Mitgliedern dominiert. Eine Verfassung für alle entstand so nicht.
Jetzt müssen alle aufeinander zugehen, damit das Projekt noch gelingt. Die Arbeit geht von vorne los. Chile hat es in der Hand, ob es bei seinem Erneuerungsprozess künftig als Vorbild oder als mahnendes Beispiel angesehen wird.