Der Kanzler in Südamerika : Scholz erlebt die neue Realität

Bundeskanzler Scholz bekommt in Südamerika wenig Unterstützung für seine Politik im Ukrainekrieg. Trotzdem war seine Reise richtig, Deutschland braucht neue Partner.
Politisch hat die Südamerikareise des Bundeskanzlers nicht ganz den Ertrag gehabt, den man sich in Berlin vielleicht erhofft hat. Dass der brasilianische Präsident Lula da Silva, den man in Deutschland als Anti-Bolsonaro feiert, im Ukrainekrieg (wie so viele Vertreter von Schwellenländern) eine mittlere Position einnimmt, war schon vor seiner Wiederwahl bekannt.
Dass er Munitionslieferungen für den Gepard-Panzer ablehnt, macht es für die Bundesregierung nun nicht einfacher, der Ukraine Nachschub für eine Waffenlieferung zu beschaffen, die sich als erfolgreich herausgestellt hat. Auch die Gastgeber des Kanzlers in Argentinien und Chile sind nicht zu Militärhilfe für Kiew bereit.
Europa ist wieder ein Krisenkontinent
In gewisser Weise erlebt der Westen auf solchen Besuchen die Umkehr alter Verhältnisse und die neue Realität der multipolaren Welt. Früher reisten Politiker aus dem stabilen Europa in den globalen Süden, um dort politische Lösungen für komplexe militärische Konflikte zu verlangen. Heute ist Europa wieder selbst ein Krisenkontinent und sieht sich in Lateinamerika, Afrika oder Asien mit der pauschalen Aufforderung konfrontiert, die Sache doch irgendwie beizulegen.
Lulas Initiative für einen „Friedensklub“ gehört in diese Kategorie. Der Schlüssel zu einem Ende des Krieges besteht nicht nur in der Wahl eines passenden Formats, sondern vor allem in einer Annäherung der Interessen, welche die Kriegsparteien und ihre jeweiligen Verbündeten verfolgen. Das ist derzeit nicht zu erkennen. Gerade für die Europäer ist auch wichtig, wie der Krieg endet.
Trotzdem war es richtig, dass Scholz die weite Reise gemacht hat. Argentinien, Chile und Brasilien haben ein großes Potential als Partner bei Handel, Rohstoffen und Klima. Die jahrzehntelange Fokussierung Deutschlands auf Russland und China war ein Fehler, das Land muss sich neue Verbündete suchen. Dass die beiden strategischen Konkurrenten des Westens sich ihrerseits seit Langem um Lateinamerika bemühen, macht die Sache umso dringlicher.