Identitätspolitik : Das Pendel
Deutsche Vorstände werden jetzt danach gefragt, was sie mit ihren Projekten für Vielfalt machen. Hintergrund ist die Reihe der US-Konzerne, die in den vergangenen Monaten ihre DEI-Initiativen gestutzt haben; das Kürzel steht für Diversität, Gleichstellung (englisch Equity) und Inklusion. DEI ist zum Beispiel dafür geworden, wie Identitätspolitik in alle Felder der Gesellschaft eingedrungen ist – sogar in die zahlengetriebene Welt der Großkonzerne nämlich. Mit der Präsidentenwahl dreht sich der Wind scharf, und im sprichwörtlichen Kulturkampf wechseln Unternehmen die Seite.
Im Kern des Streits geht es um Bevölkerungsgruppen, die unterproportional in Wirtschaft und Politik repräsentiert sind. Heilt man frühere Diskriminierung, indem man jetzt alle gleichberechtigt behandelt? Dann wird es eine Weile dauern, bis sich am Ende eine Gleichverteilung einstellt. Oder beschleunigt man den Prozess mit Förderprogrammen und Quoten? Die positive Diskriminierung der einen Gruppe bedeutet indes die negative Diskriminierung der anderen – und deren Befindlichkeit sollte man zumindest im Auge behalten.
Wenn die Hautfarbe im Mittelpunkt steht
Hinzu kommt die aggressive Rhetorik der Identitätsdenker, die sich auf nichts anderes konzentrieren als unveränderliche äußerliche Merkmale. Sie halten Weißen „unbewussten Rassismus“ und „Privilegien“ vor, brandmarken Institutionen oder gleich die ganze Gesellschaft als „strukturell rassistisch“. Politik, Kultureinrichtungen und Unternehmen haben sich davon einschüchtern lassen.
Das rächt sich. Wer vor einem Rechtsruck als Reaktion warnte, bekam aus dem „progressiven“ Lager bis vor Kurzem Häme zu hören. Dabei waren die Warnsignale kaum zu übersehen, etwa bei der Wahl in den Niederlanden. Nach der US-Wahl scheint die These an Zustimmung zu gewinnen, dass Identitätspolitik mit ihren Exzessen das Gegenteil ihrer Ziele erreicht. Endlich, aber zu spät.
DWS-Chef Stefan Hoops konstatierte kürzlich, das Pendel sei zuletzt ziemlich weit ausgeschlagen. Intern habe man die Wortwahl in vielen Themen genau abwägen müssen. Zu Recht zeigt er sich jetzt besorgt wegen aggressiver Anti-„woke“-Rhetorik. Wird sich das Pendel irgendwann einschwingen? Eher ist zu befürchten, dass die Ausschläge größer werden; beide Lager haben sich radikalisiert. Mitte-orientierte liberale Universalisten haben schwere Jahre hinter sich – und leider wohl auch vor sich.