Jenny Erpenbeck : Deutschlands international renommierteste Schriftstellerin
Dass der wichtigste Literaturpreis der englischsprachigen Welt zweimal an dieselbe Person geht, ist ungewöhnlich genug. Eine von bisher nur dreien, denen das gelungen ist, ist seit dieser Woche Jenny Erpenbeck. Die anderen beiden sind Hilary Mantel und Margaret Atwood, aber im Unterschied zu Erpenbeck haben sie als Englisch schreibende Autorinnen jeweils den regulären Booker Prize doppelt gewonnen, während ihre deutsche Kollegin zweimal mit der Auszeichnung für das beste übersetzte Buch eines Jahres bedacht wurde. 2015, als sie mit ihrem Roman „Aller Tage Abend“ gewann, war das noch der Independent Foreign Fiction Prize, der dann im Folgejahr im International Booker Prize aufging. Und den hat Erpenbeck nun auch erhalten: für ihren hierzulande schon 2021 erschienenen, aber erst zwei Jahre später ins Englische übersetzten Roman „Kairos“.
Die 1967 in Ost-Berlin geborene Erpenbeck war schon lange vorher ein household name beim englischsprachigen Publikum – und damit rund um die Welt. Unvergessen die Begeisterung neuseeländischer Leser für die deutsche Autorin, die sich im Gespräch vor mehr als zehn Jahren zeigte; in den dortigen Buchhandlungen waren ihre Romane genauso zuverlässig zu finden wie in Großbritannien oder den Vereinigten Staaten. Daran hat sich nichts geändert.
Was außerhalb Deutschlands an Erpenbecks Prosa fasziniert, ist deren Geschichtsträchtigkeit – doppelt verstanden, nämlich einmal vor der Folie der DDR, die für die meisten Bücher von Erpenbeck den historischen Rahmen abgibt, und dann im Erzählstil, der entgegen den experimentellen Konzepten vieler deutschsprachiger Gegenwartsautoren die Form in den Dienst der Geschichte stellt. Das schließt formalen Anspruch keineswegs aus. Gerade „Aller Tage Abend“, aber auch „Heimsuchung“ (2008) bieten Erzählverläufe, die gewohnte Bahnen verlassen. Sie setzen auch Erpenbecks Freude an lakonischer Knappheit fort, die schon die frühen Bände „Geschichte vom alten Kind“ (1999) und „Tand“ (2001) dokumentierten.
Als die erschienen, war Erpenbeck noch vorrangig als Musiktheaterregisseurin tätig, ein Metier, das sie unter anderem bei Ruth Berghaus, Peter Konwitschny und Heiner Müller erlernte. So wurde manches, was „Kairos“ über das Berliner Künstlermilieu vor und nach dem Fall der Mauer erzählt, als autobiographisch missverstanden. In Deutschland ist Erpenbeck wegen ihrer Herkunft aus einer prominenten Schriftstellerfamilie der DDR oft skeptisch betrachtet worden; als 2015 „Gehen, ging, gegangen“ erschien, ihr empathiereicher Roman über Flüchtlinge in Berlin, galt sie vielen fortan als Politschriftstellerin. Im Ausland nimmt man Jenny Erpenbeck für das, was sie in ihren Büchern ist: eine der größten lebenden Erzählerinnen, die (nicht nur) wir haben..