Glosse Feuilleton : Unpolitisch
Die Muslime in aller Welt mit einem Vortrag über das hohe europäische Gut der Meinungsfreiheit zu katechisieren, ist in diesen Tagen eine der leichteren Übungen. Hinten, weit in der Türkei, sollen die Menschen in den Genuß einer freien Presse kommen. Heikler wird es, wenn die Sache näher rückt: Die Leipziger Buchmesse hat der Wochenzeitung "Junge Freiheit" den angemeldeten Stand verweigert. Die Zeitung steht rechts von der Mitte, aber als extremistisch wird man sie, zu deren Interviewpartnern gute Sozialdemokraten wie Egon Bahr oder der kürzlich verstorbene Peter Glotz gehörten, nicht bezeichnen wollen. Dennoch sieht die Messeleitung eine Gefahr, die von dem Stand ausgehen könnte: Wie Heike Fischer, Sprecherin der Messe, dieser Zeitung erklärte, spielten bei der Verweigerung aber keineswegs politische Gründe eine Rolle, ja, man behalte sich von seiten der Messe rechtliche Schritte gegen all jene vor, die, wie die "Junge Freiheit", von einer "politisch motivierten Ausladung" sprechen. Vielmehr sei für die Ablehnung entscheidend gewesen, daß der Verlag am Stand ein Fest zum zwanzigjährigen Bestehen der Zeitung angekündigt habe - und dabei seien Protestaktionen zu befürchten, die die Sicherheit der Besucher und der angrenzenden Stände gefährden könnten. Übersetzen wir diese Auskunft ins Deutsche von Radio Eriwan, dann besagt sie: Im Prinzip sind wir für die Pressefreiheit, ja. Aber so richtig konkret schützen, am Ende gar mit Polizei, wollen wir sie nun doch nicht. Das ist eine neue Lage. Die Frankfurter Buchmesse jedenfalls hat in ihrer Geschichte einiges an Protesten erlebt und sich in solchen Situationen regelmäßig dazu entschlossen, die jeweils betroffenen Stände zu schützen. Ob die Leipziger Messeleitung, von der bisher nur elf karge Zeilen zur Absage an die "Junge Freiheit" vorliegen, mit ihrer Entscheidung durchkommt? Wahrscheinlich. Zwar haben einige wenige wie der Philosoph Robert Spaemann und der "Focus"-Herausgeber Helmut Markwort einen "Appell für die Pressefreiheit" unterzeichnet, den die Zeitung veröffentlichte. Aber das wird nicht viel helfen, denn wer will schon in den Ruf kommen, mit der "Jungen Freiheit" paktiert zu haben? Warten wir lieber auf die nächste Buchmesse in Damaskus, Algier oder Teheran. Dort wird man sicher auch den einen oder anderen Verlag ausschließen und sich
auf mögliche Proteste des muslimischen Volksempfindens berufen. Dann haben die deutschen Großintellektuellen eine passendere Möglichkeit, wieder einmal die so dringend nötige Pressefreiheit anzumahnen. L.J.