Kino: „The Brutalist“ : Das Ende eines amerikanischen Traums
Hitze. Dunkelheit. Schreie. Die Überfahrt im stinkenden, überfüllten Schiffsbauch ist die Hölle, aber irgendwann kommt das Schiff an, und László ist in New York. Da ist die Freiheitsstatue, so nah, dass man sie fast berühren kann, dann kippt das Bild, und die Statue steht auf dem Kopf, der Himmel als Abgrund unter ihr, die Erde ein schwankendes Dach. Nächste Station: Ellis Island. Die Insel der Immigranten.
Dies ist der Beginn eines Dreieinhalbstundenfilms, doch davon ahnt man noch nichts in diesen ersten Minuten. Was man spürt, ist, dass die Bilder, aus denen er besteht, anders sind als andere Filmbilder, breiter und zugleich näher, lauter, bedrängender. Selbst die Landstraße, auf der László im Bus nach Philadelphia fährt, wo er bei seinem Cousin in dessen Möbelgeschäft unterkommen will, hat etwas Verschlingendes: Ihr Fahrstreifen, der auf uns zurast, saugt den Blick ein.
Der Held hat Buchenwald überlebt
„The Brutalist“ heißt dieser Film, aber nicht weil seine Bilder brutal sind. Brutalismus ist eine Bewegung der Nachkriegsarchitektur, ein Baustil, der auf wuchtige Formen und nackten Sichtbeton setzt, und László, der Held der Geschichte, hat ihn in den Dreißigerjahren am Bauhaus studiert. Dann kamen Hitler, der Krieg, die Rassenpolitik der Nazis, die auch den ungarischen Juden László Tóth und seine Frau Erzsébet ereilte. Er kam nach Buchenwald, sie nach Dachau; nach der Befreiung wurden sie getrennt, und jetzt sitzt Erzsébet in einem sowjetischen Flüchtlingslager fest. Der Film handelt diese Vorgeschichte in weniger als zwei Minuten ab, doch sie prägt alles, was anschließend geschieht, bis zur allerletzten Einstellung.
In Philadelphia fängt László weit unten an, mit Zeichnungen von Möbeln und einem Sessel aus Stahlrohr, den er für seinen Cousin entwirft. Dass er etwas Besonderes ist, merkt man erst, als die beiden den Auftrag bekommen, die Bibliothek eines reichen Geschäftsmanns umzubauen. László entwirft ein lichtes Bücherkabinett, das eines Philosophen würdig wäre, doch dessen Besitzer, der keine Überraschungen mag, wirft die beiden aus seiner Villa. Der Architekt verliert sein Honorar und seine Bleibe, er zieht ins Männerwohnheim und wird Hilfsarbeiter – bis ihn der Millionär, er heißt Van Buren, eines Tages beim Kohlenschippen besucht.
Er zeigt ihm Artikel aus Lifestyle-Magazinen, die Lászlós Bibliothek feiern, und Fotos seiner in Europa entstandenen Bauten. Und er lädt ihn zu sich ein. Dort, auf einem Hügel vor seinem Haus, macht er László ein Angebot: ein Gebäude, das Bücherei, Auditorium, Gemeindehaus und Kirche zugleich sein soll. Das ist mehr als ein Auftrag. Es ist ein Projekt. Ein amerikanisches Wunder.
Etwas Kühnes, Gewagtes, Neues schaffen
Jetzt wäre es Zeit, über Brady Corbet zu sprechen, den Mann, der „The Brutalist“ inszeniert und gemeinsam mit seiner Partnerin, der Dänin Mona Fastvold, auch geschrieben hat. Aber Corbet, der seit zehn Jahren Regie führt – davor war er Schauspieler, unter anderen bei Michael Haneke und Lars von Trier –, hält sich hinter seinem Film versteckt. Der „Brutalist“ erzähle von der Erfahrung, „im Allgemeinen kritisiert“ zu werden, „wenn man etwas Kühnes, Gewagtes oder Neues schafft“, bekennt er schüchtern.
Die Jurys, die den Film mit Auszeichnungen überhäuft – Regiepreis in Venedig, Golden Globe als bestes Drama, zehn Oscar-Nominierungen –, und die Kritiker, die ihn, zumal in Amerika, in den Himmel gehoben haben, sahen das anders: „ein großes Kunstwerk“, „ein amerikanisches Epos“, „ein Meisterwerk“, „monumental“. Wenn man „The Brutalist“ sieht, fragt man sich, was sie meinen.
Denn die Geschichte, die ihre Hauptfigur mit so viel Schwung von einem Kontinent zum anderen und vom Armenschlafsaal an die Tische der Reichen geführt hat, frisst sich noch vor dem Erreichen der Halbzeitmarke (die Corbet in Gestalt einer viertelstündigen Pause in seinen Film eingefügt hat) in ihren Kulissen fest. Das Van Buren Institute, das László entworfen hat, kommt nicht recht vom Fleck, weil der örtliche Bauleiter die Arbeiten verzögert, und das Liebesdreieck, das sich zwischen dem Architekten, seinem Cousin und dessen lasziver Gattin angedeutet hat, löst sich in Wohlgefallen auf. Dann springt der Film, wie um sich selbst aufzuwecken, fünf Jahre voran, es ist 1953, und Lászlós eigene Frau trifft aus Budapest in Amerika ein.
Erzsébet (Felicity Jones) ist durch Osteoporose als Folge ihrer Lagerhaft an einen Rollstuhl gefesselt. Das könnte, neben allem anderen, ein Drama sein, aber der Film macht keines daraus. László selbst, dessen Wirbelsäule seit Buchenwald kaputt ist, bekämpft die Schmerzen mit Heroin, doch Brady Corbet schildert seine Sucht so beiläufig wie einen Regentag. Es gibt lange Dialoge im Auto und kurze im Bett, ein Picknick im Grünen, ein Zugunglück in der Ferne und Konversation im Salon. Ein Epos, das wissen wir seit Homer, braucht aber nicht nur viel Zeit, sondern auch einen Konflikt.
Ein Film über Amerika, seine Grausamkeit, seine Gier
Von welchem Konflikt handelt „The Brutalist“? Vom ältesten, den es gibt: dem Duell zweier Männer. Die Optik des Films wird immer dann scharf gestellt, wenn Van Buren und László einander gegenübertreten, und obwohl Adrien Brody in der Rolle des Schmerzensmanns aus Ungarn jeden Darstellerpreis verdient hat, ist es Guy Pearce als Harrison Lee Van Buren, der dabei die Gefechtstemperatur bestimmt.
Denn „The Brutalist“ ist im Kern ein Film über Amerika, seine Hybris, seine Grausamkeit und seine Gier, und womöglich hat diese in Trump-Zeiten überfällige Aktualisierung eines ewigen Kinothemas bei den Rezensenten jenseits des Atlantiks die filmkritischen Sicherungen gesprengt. Pearce als Van Buren ist mehr als ein Schauspieler, er ist ein Phänomen. Er ist der Sohn, den John Huston als blutschänderischer Magnat in Polanskis „Chinatown“ nicht gehabt hat, und folgerichtig wird er auf dem Höhepunkt des Dramas nicht zum Killer, sondern zum Vergewaltiger.
Die Szene spielt, ausgerechnet, in Italien. Der Architekt und sein Mäzen fahren nach Carrara, um Marmor für ihr Bauprojekt auszusuchen, sie laufen durch das Labyrinth der Steinbrüche, als wären es die Adern des Hades. Aber nur László wird dort unten von seinen Dämonen überwältigt, den Lagern, den Leichen, den Fratzen der Täter. In einem Stollen bricht er zusammen. Van Buren, der ihm gefolgt ist, stürzt sich auf ihn, und während er ihn missbraucht, hält er ihm einen Vortrag über Schuld und Sühne, Starke und Schwache, der wie die Parodie einer Sonntagspredigt klingt – oder eine zur Kenntlichkeit entstellte Präsidentenrede.
Der Rest des Films ist Nachklapp und Fußnote, auch wenn Felicity Jones für ihren Auftritt im Rollstuhl an der Dinnertafel der Dollar-Aristokratie eine eigene Würdigung verdient hätte. Doch es dauert einige Zeit, bis sich solche Momente aus dem Bildernebel lösen, der die Geschichte nach 210 Kinominuten einhüllt. Der Tempel der Moderne, den László Tóth in Amerika bauen will, ist übrigens am Ende des Films tatsächlich fertig; nur kommt es darauf nicht mehr an. Von Alfred Hitchcock hat Brady Corbet nämlich nicht nur das altmodische Bildformat Vistavision übernommen, sondern auch die Idee des MacGuffins, eines Objekts, das die Handlung in Gang hält, ohne für sie die geringste inhaltliche Bedeutung zu haben. Einen größeren MacGuffin als das Van Buren Institute hat es im Kino vermutlich noch nicht gegeben. Dass Monumentalität und Qualität nicht dasselbe sind, steht allerdings auf einem anderen Blatt.