Spitzenwerk Heinrich Campendonks :
Das Wirtshaus bleibt in Krefeld

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Hing einst in der Sammlung Hess neben Marc und Chagall: Heinrich Campendonks „Wirtshaus“ aus dem Jahr 1917 in Öl auf Leinwand misst 70,5 mal 50,5 Zentimeter und gehört nun legitim den Kunstmuseen Krefeld
Happy End eines Raubkunst-Falls: Ein Hauptwerk des rheinischen Expressionisten Heinrich Campendonk verbleibt in den Krefelder Kunstmuseen.
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Das 1917 entstandene Gemälde „Wirtshaus“ des rheinischen Expressionisten Heinrich Campendonk besitzt nicht nur eine außergewöhnliche Hybridform, es ist auch wegen seiner Funktion als eine Art Gedächtnisbild für die Kunstgeschichte von besonderem Interesse. Drei in sich kubistisch aufgesplitterte, stark stilisierte Personen sitzen in einem Schankraum an einer weiß eingedeckten Tafel, während ein Mann im blau-schwarzen Anzug isoliert am hinteren Ende des Tisches mit leicht nach unten geneigtem Kopf steht, dem tradierten Signum der Melancholie in der Kunst. Der zuvorderst sitzenden Figur in leuchtendem Rot mit einem Rotweinglas vor sich ragt annähernd horizontal eine heftig qualmende Zigarette aus dem Mund, die in der Waagrechten von Campendonk durch ein ebenfalls kerzengerade auf einen grasgrünen Karpfen zielendes Messer auf dem Teller gegenüber ausbalanciert wird.

Sowohl die lange, aperspektivisch dynamisch diagonal in den Raum gestellte Tafel als auch das in sechs Kompartimente zergliederte expressionistische Wirtshausfenster im Hintergrund sind kubistisch gebrochen, das Fenster scheint zudem wie bei einem Beben seismische Wellen in Form seiner Scheiben auszusenden. Die pastellig-aufgehellten Farben in Rot-Orange, Violett, Grün und Blau lassen den Raum zusätzlich schwerelos wirken und schwingen, wie es beim wenige Jahre später in der angewandten Kunst der Weimarer Republik äußerst populären „Spritzdekor“ der Fall sein sollte. Als animalische Assistenzfiguren schweben hinter der Stuhllehne des Rauchenden ein blauer Mischlingshund und surreal vor der Wand ein rehartiges Tier in diesem Nicht-Raum.

Erinnerung an einen Wirtshausbesuch mit Freunden

Ein hochinteressanter stilistischer Zwitter ist Campendonks Öl-auf-Leinwand-Gemälde deshalb, weil es die in sich gebrochenen Figuren am Tisch dem Expressionismus und Kubismus etwa eines August Macke entlehnt, die Tiere wiederum in der Manier Franz Marcs malt und deren ortloses Schweben von Marc Chagall übernimmt. Das Gemälde kann so mit seinen sehr bewusst gesetzten Stilanleihen auch als Erinnerungsbild an einen gemeinsamen Wirtshausbesuch mit Freunden und als indirekte Reaktion auf den Ersten Weltkrieg mit dem Verlust seiner Künstlerfreunde August Macke und Franz Marc gelesen werden, von denen Ersterer bereits im ersten Kriegsjahr 1914 und Letzterer 1916 gefallen war.

Dieses wichtige Werk Campendonks kann nun nach einer Einigung mit der Erbin der einst vor den Nationalsozialisten geflohenen jüdischen Besitzer in Krefeld bleiben. Faire und gerechte Lösungen für die Rückgabe von in der NS-Zeit geraubten Kunstwerken sind nicht allzu häufig, im Krefelder Kaiser Wilhelm Museum aber wurde eine gütliche Einigung über das Werk erzielt: es wurde zurückgegeben und gleichzeitig zurückgekauft. Daran beteiligt waren der Bund, das Land Nordrhein-Westfalen und die Kulturstiftung der Länder. Die Höhe der Kaufsumme blieb unbenannt.

Wie gelangte das Bild von Thüringen nach Krefeld?

Das Ölgemälde des Künstlers Campendonk, 1889 in Krefeld selbst geboren und jüngstes Mitglied der Künstlergruppe Blauer Reiter, gehörte ursprünglich zur Sammlung des Erfurter Fabrikanten Alfred Hess. Der Mäzen hatte eine der bedeutendsten Sammlungen expressionistischer Kunst in Deutschland mit mehr als viertausend Werken aufgebaut, zu der unter anderem auch Bilder Marc Chagalls, Franz Marcs, Lyonel Feiningers, Paul Klees, Otto Dix’ oder Oskar Kokoschkas gehörten.

Nach seinem Tod 1931 hinterließ Hess die Sammlung seinem Sohn Hans. Dieser emigrierte nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten 1933 nach Frankreich und später nach London. Die Sammlung blieb in Obhut der Mutter Thekla Hess, die 1939 ebenfalls nach England emigrierte.

Die Kunstsammlung brachte Thekla Hess 1933 in Teilen in die Schweiz. Um ihre Lebensgrundlage zu finanzieren, waren Thekla und Hans Hess gezwungen, Kunstwerke zu veräußern. 1937 sandte Thekla Hess das Campendonk-Gemälde zusammen mit anderen Werken an den Kölnischen Kunstverein.

1947 teilte der Kölnische Kunstverein auf Nachfrage mit, dass die ehemals eingelagerten Bilder nicht mehr vorhanden seien. Später wurde in einem Prozess bekannt, dass einige Werke unter der Hand verkauft worden waren. 1948 bot der Kölner Kunsthändler Werner Rusche das Campendonk-Bild dem Kaiser Wilhelm Museum in Krefeld zum Kauf an.

„Mit jeder einzelnen Rückgabe eines Werkes erkennen wir das Unrecht an, das den jüdischen Vorbesitzerinnen und Vorbesitzern durch das NS-Regime angetan wurde“, erklärte NRW-Kulturministerin Ina Brandes (CDU). Die Rückgabe und der anschließende Rückkauf seien eine „faire und gerechte Lösung“ im Sinne der Washingtoner Prinzipien für die Rückgabe von NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgütern.

Mehrere Werke aus der Sammlung Hess bereits zurückgegeben

Es ist nicht die erste Restitution an die Erbin von Alfred Hess. Die spektakulärste erfolgte im Jahr 2006, als Berlin das berühmte Gemälde „Berliner Straßenszene“ (1913) von Ernst Ludwig Kirchner an die Erbin zurückgab. Das Gemälde wurde später für umgerechnet 30 Millionen Euro versteigert.

Auch mit anderen Städten wie etwa Hannover und Ludwigshafen erzielten die Hess-Erben in den vergangenen Jahren Einigungen. 2019 restituierte das Dürener Leopold-Hoesch-Museum ein Campendonk-Bild und kaufte es wieder zurück. Ein wahrer Glücksfall aber für die Kunstgeschichte ist das nun erzielte Happy End des Raubkunst-Falls des „Wirtshaus“ Campendonks in Krefeld.

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