Anklage zu Steuerhinterziehung : Ex-Geheimagent Mauss ist halt ein toller Typ
Der 83-jährige ehemalige Geheimagent Werner Mauss muss sich seit Längerem wegen Steuerhinterziehungen vor Gerichten verantworten. Es geht um 13 Millionen Euro, manche Medien berichteten von 14 Millionen Euro. Im Jahr 2017 wurde Mauss deshalb vom Landgericht Bochum verurteilt, das Urteil fiel milde aus: zwei Jahre auf Bewährung und Zahlung von 200.000 Euro an wohltätige Organisationen.
Selbst wenn man Aufwendungen gegenrechnen wollte, wie Mauss anregte, befindet man sich im Bereich von Schwerkriminalität. Normalerweise gibt es dafür eine Haftstrafe. Aber Mauss sollte nach Ansicht des Gerichts nicht ins Gefängnis. Die Richter führten dafür unter anderem seine „durchaus beeindruckende Lebensleistung“ als Geheimagent an. Er habe etwa erfolgreich Verhandlungen über die Freilassung zahlreicher Geiseln in Südamerika geführt.
Karlsruhe hob das Urteil gegen ihn auf
Über Mauss’ Leistungen haben Medien in den letzten Jahrzehnten immer wieder berichtet. Ohne diese Berichte wären die Taten normale Agententätigkeit geblieben. Viele Geheimdienstler und Diplomaten arbeiten ebenso, nur hinter den Kulissen. Über sie berichtet fast niemand, über Mauss schon. Auch der Journalist Hubert Seipel, der von einem russischen Magnaten und Putin-Vertrauten 600.000 Euro „Sponsoring“ bekam und dessen Russland-Bücher der Verlag Hoffmann und Campe aus dem Vertrieb genommen hat (F.A.Z. vom 14. November), wirkte mit.
Er drehte im Jahr 1999 für das ZDF die Dokumentation „Agent Mauss – das Ende des Schattenmannes“. Der heutige Chefredakteur der „Welt N24“-Gruppe, Stefan Aust, publizierte im selben Jahr eine Biographie mit dem Titel „Mauss – ein deutscher Agent“. Andere Publikationen von Fernsehsendern und Zeitungen präsentiert Mauss stolz auf seiner Website (auch ein Artikel der F.A.Z. befindet sich darunter, wenngleich diese Zeitung sich dem Hype um ihn verweigerte).
Der Bundesgerichtshof (BGH) hob das erstinstanzliche Urteil 2019 auf die Revision beider Seiten hin auf. Die Bundesrichter kritisierten unter anderem, der Begriff „Lebensleistung“ sei eine ausfüllungsbedürftige Leerformel. Zudem ist gar nicht so genau klar, was Mauss eigentlich geleistet hat. Manche Medien trugen zur Legendenbildung bei. Mauss selbst schwieg dagegen des Öfteren, auch, als er im Rahmen parlamentarischer Untersuchungen befragt werden sollte.
Luxemburg liefert Beweismittel
Das Bochumer Landgericht muss nun neu entscheiden. Mauss behauptet derweil, dass ihm das Geld, dessen Erträge nach dem ersten Urteil des Landgerichts Bochum zu versteuern gewesen wären, von ausländischen Staaten zur Finanzierung seiner Agententätigkeit zur Verfügung gestellt worden sei.* Das sei steuerfrei. Falls nicht, entfalle jedenfalls der Vorsatz für eine Steuerhinterziehung. Allerdings kann all das eine Schutzbehauptung sein. Das Landgericht Bochum meinte, Mauss sei sich sehr wohl bewusst, dass die Gelder für die Behörden von Bedeutung gewesen waren.*
Und, im Übrigen, wieso schleust Mauss angeblich unproblematische Zuwendungen nach Luxemburg [...]? Wieso setzt er nicht nur sich selbst, sondern auch Ehefrau und Söhne als Begünstigte von Stiftungsvermögen ein, das er angeblich rein „treuhänderisch“ verwaltet? Mitte des Jahres 2020 hieß es vom Gericht in Bochum, es seien Nachermittlungen im Ausland erforderlich. Das dauere ein bis zwei Jahre. Damit verebbte das Medieninteresse an Mauss.
Inzwischen lieferte das Großherzogtum Luxemburg eine Reihe an Beweismitteln nach Bochum. Wir haben daher nachgefragt: Sind die Nachermittlungen inzwischen beendet? Geht das Verfahren wieder los? Die Antworten lauten: Nein und Nein.
Hat das Gericht zu Unrecht ausgesetzt?
Die gerichtliche Hauptverhandlung wurde nicht erneut begonnen. Die Begründung des Gerichts: „Zum einen, da die weiteren Ermittlungsmaßnahmen derart umfangreich sind, dass die Auswertung der nachgereichten Unterlagen geraume Zeit in Anspruch nimmt. Zum anderen, da das Verfahren derzeit gemäß der Abgabenordnung ausgesetzt ist“. Die Aussetzung erfolge bis zum Abschluss des Besteuerungsverfahrens der Finanzbehörden, „auf dessen Durchführung die Strafgerichtsbarkeit keinen Einfluss hat“. Der Beschluss, mit dem das Verfahren ausgesetzt wurde, liegt der F.A.Z. exklusiv vor (Beschluss der 6. Strafkammer des Landgerichts Bochum vom 28. August 2023, 6 KLs 2/22).
Darin heißt es, dass in dem Verfahren „entscheidungserhebliche steuerrechtliche Vorfragen“ zu klären seien. Unklar scheint zu sein, ob der von Mauss ins Feld geführte Geheimfonds als Betriebsvermögen oder Privatvermögen zu qualifizieren sei. Doch ist das eine Frage, die zur Aussetzung berechtigt, trotz der Einzigartigkeit der beruflichen Tätigkeit als medial gehypter „Geheimagent“?
Dazu haben wir zwei Experten befragt. Stefan Rolletschke kommentiert seit Jahrzehnten das Steuerstrafrecht. Kaum jemand hat sich so intensiv mit der Gesetzesnorm, die das Gericht zur Aussetzung heranzieht, auseinandergesetzt. Es geht um Paragraph 396 Abgabenordnung. Rolletschke bezweifelt, dass dessen Voraussetzungen vorliegen. Dafür müsste eine Steuerrechtsfrage ungeklärt sein. Ob es sich bei dem besagten Geheimfonds um Betriebsvermögen oder Privatvermögen handele, sei keine Rechtsfrage, sondern eine Rechtsanwendungsfrage. Hat das Gericht also zu Unrecht ausgesetzt?
[...] Selbst wenn Paragraph 396 Abgabenordnung anwendbar sei, müsse das Gericht das Beschleunigungsgebot beachten. Wenn das Gericht erkennen müsse, dass es „auf Godot wartet“, sei das Verfahren wieder aufzunehmen.
Skurrile Praktiken
Der Bonner Rechtswissenschaftler Thomas Grosse-Wilde hält die Aussetzung ebenso für nicht nachvollziehbar. Der BGH habe in seinem Urteil 2019 genaue Vorgaben gemacht, wie der Fall Mauss steuerrechtlich einzuordnen sei. „Jedenfalls erscheint mir keine steuerrechtliche Vorfrage mehr ungeklärt“, sagt Grosse-Wilde. Er hatte in einem Aufsatz 2019 darauf hingewiesen, dass die angeblichen, vom Landgericht Bochum in dubio pro reo angenommenen „Betriebsausgaben“ für das Geheimdienstunternehmen von Mauss auf ganz dürren Einlassungen desselben beruhen und eine Überdehnung des Zweifelssatzes vorliegt.
Es erscheint in der Tat skurril, eine Hauptverhandlung über Jahre auszusetzen, wenn man bei der Hinterziehung eindeutig über der Millionengrenze liegt. Denn das hat eine nicht aussetzungsfähige Freiheitsstrafe zur Folge. Es scheint fast so, als ob man das Verfahren aufgrund der „komplizierten Rechtslage bei Geheimagenten“ bis zur Verjährung verschleppt oder einfach deshalb, weil Mauss ein toller Typ ist, dessen Leistungen Medien glorifizieren. Mauss darf sich freuen. Seine wahre Lebensleistung besteht in guter Vermarktung, wenn sie gebraucht wird, und Schweigen im Wald, wenn ihm dies opportun erscheint.
* Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Fassung dieses Textes war davon die Rede, dass das Geld, das Mauss von ausländischen Staaten zur Finanzierung seiner Agententätigkeit zur Verfügung gestellt worden war, zu versteuern gewesen sei. Tatsächlich geht es nur um die Erträge aus diesem Geld, die nach Auffassung des Landgerichts Bochum zu versteuern gewesen wären. Ferner hieß es, der BGH habe festgestellt, dass Mauss sich sehr wohl bewusst war, dass die Gelder für die Behörden von Bedeutung gewesen wären. Tatsächlich war es das Landgericht Bochum, das in seinem Urteil zu einer entsprechenden Feststellung gekommen war. Wir bitten die beiden Ungenauigkeiten zu entschuldigen und haben die Stellen geändert.