Zehntausende Menschen haben in Österreich gegen einen gesellschaftlichen Rechtsruck und die Bildung einer Regierung unter Führung eines Kanzlers der rechtspopulistischen FPÖ demonstriert. Allein in Wien versammelten sich am Abend vor dem Kanzleramt etwa 25.000 Menschen, wie es aus Behördenkreisen hieß. Proteste gab es auch in Innsbruck, Salzburg und Graz.
Die Demonstranten vor dem Kanzleramt in Wien hielten Schilder und Transparente mit Botschaften in die Höhe wie „Wir wollen kein rechtsextremes Österreich“ und „Nie wieder ist jetzt“.
Buh-Rufen für Nachricht vom Beginn der Koalitionsverhandlungen
Viele Slogans richteten sich auch gegen FPÖ-Chef Herbert Kickl als möglichen nächsten Kanzler. Die Menge buhte, als während der Demonstration bekannt wurde, dass die FPÖ und die konservative ÖVP soeben formell den Beginn von Koalitionsverhandlungen beschlossen hatten.
Organisiert wurde die Demonstration von sozialen und kirchlichen Organisationen sowie von Gruppen, die sich für Umweltanliegen und Flüchtlinge einsetzen. „Es droht ein autoritärer Angriff auf Demokratie, Menschenrechte, Umweltschutz und den sozialen Zusammenhalt in unserem Land“, hieß es in ihrem Protestaufruf. Auch linke Parteien waren bei der Kundgebung vertreten.
Nach dem Wahlsieg der FPÖ im Herbst hatte die bisherige Kanzlerpartei ÖVP zunächst versucht, eine Koalition aus den Parteien der Mitte zu schmieden. Nach dem Platzen dieser Gespräche am vorigen Wochenende erhielt FPÖ-Chef Herbert Kickl von Bundespräsident Alexander Van der Bellen den Regierungsauftrag – und somit die Chance, Kanzler zu werden.
„Wir treten in Verhandlungen mit der FPÖ ein“, sagte ÖVP-Chef Christian Stocker am Donnerstag. Als die „wichtigsten Eckpfeiler“ für seine Partei dabei nannte er abermals die Bewahrung der liberalen Demokratie, Österreichs EU-Mitgliedschaft und die Ablehnung russischer Einflussnahme. Er sprach damit indirekt die EU-kritische und russlandfreundliche Haltung der FPÖ an, die als mögliche Stolpersteine gelten.
ÖVP und FPÖ sind sich ihrer restriktiven Haltung gegen Zuwanderung weitgehend einig. Es ist noch unklar, ob sie ihre außenpolitischen Differenzen überwinden können, um eine Regierung zu bilden. Zwischen den beiden Parteien gibt es auch atmosphärische Spannungen. Kickl hatte etwa vor Beginn der Verhandlungen von der ÖVP gefordert, Verantwortung für die Wirtschaftskrise einzugestehen. Die ÖVP hat hingegen die FPÖ wiederholt als Sicherheitsrisiko für Österreich bezeichnet.