Premierministerin Theresa May : Frau ohne Eigenschaften

Nach sieben Wochen Wahlkampf wirkt die britische Premierministerin Theresa May demontiert. Haltungen, die ihr lange nützten, haben sich gegen sie gekehrt. Wer ist diese Frau in Downing Street 10, die nun über die Ziellinie hinkt? Ein Porträt.
Wenn Theresa May an ihren freien Wochenenden aus dem Haus tritt und über den Friedhof der Saint Andrew’s Church zum Ufer des kleinen Themse-Arms spaziert, muss sie vollendetes Glück empfinden. Sonning ist so englisch, wie ein Ort nur englisch sein kann, mit alten Steinhäuschen im Schatten von Bäumen, mit malerischen Schänken, die „The Bull Inn“ heißen oder „The Mill“, und mit Menschen, die jede Veränderung als vulgären Angriff auf den Lauf der Zeit begreifen. Es ist eine Umgebung, in der einem ein Satz wie dieser einfallen kann: „Bürger der Welt sind Bürger von nirgendwo.“ May ist verwurzelt. Sie gehört nach Sonning, jedenfalls in den Süden Englands. Seit sie im Alter von zwei Jahren ihren Geburtsort Eastbourne verlassen hat, lebt sie in einem Radius von fünfzig Meilen: in Enstone, in Wheatley, in Oxford; selbst in London wohnte sie in einem Stadtteil, der ans ländliche England erinnert, in Wimbledon. Nach Sonning zog sie erst 1997, vor zwanzig Jahren, und das ist eine Geschichte für sich.