Rätsel um Preisverfall : Warum ein Kalb nur noch 7,89 Euro kostet

Der Preis für Jungvieh ist in den vergangenen Monaten stark gefallen. Die Branche rätselt über den Einbruch – denn das Thema ist komplexer, als es auf den ersten Blick scheint.
Das gefleckte Fell ist flauschig, die Beine noch wackelig, die Schnauze weich und babyrosa: Kälber geben in den ersten Wochen nach ihrer Geburt ein hinreißend niedliches Bild ab – sind für ihre Züchter aber offenbar in manchen Fällen nicht mehr wert als zwei mittelgroße Cappuccinos einer beliebten Kaffeehauskette. Das zumindest legt eine Anfrage des grünen Bundestagsabgeordneten Friedrich Ostendorff nahe, die auf einen starken Preisverfall auf dem Markt für Jungvieh hindeutet. Laut der Antwort des Bundeslandwirtschaftsministeriums (BMEL) bekamen Viehzüchter im Oktober für ein Kalb nur noch durchschnittlich 8,49 Euro; im Mai waren es immerhin noch 25 Euro. Zuerst hatte die „Neue Osnabrücker Zeitung“ darüber berichtet.
Das Ministerium bezieht sich auf Zahlen der Agrarmarkt Informations-Gesellschaft (AMI). Der Branchendienst bestätigte die Angaben gegenüber der F.A.Z. und nannte sogar ein noch niedrigeres deutsches Mittel von 7,89 Euro. „Wichtig ist, dass es sich hierbei um den Preis für weibliche schwarzbunte Kälber handelt“, sagte Tim Koch von der AMI. Doch auch Bullenkälber waren mit im Schnitt 50 Euro zuletzt nur noch halb so viel wert wie im Frühjahr. Der Zuchtverband Schwarzbunt und Rotbunt Bayern bestätigte auf Anfrage der F.A.Z., dass die Preise für Kälber zuletzt gesunken sind. Auf Auktionen würden aber immer noch bis zu 260 Euro für Zuchttiere mit guter Herkunft bezahlt. Die Zahl von 8 Euro kann sich der Verband nicht erklären.
Für die betroffenen Betriebe ist der Preisdruck in jedem Fall eine große Herausforderung. Der Vizepräsident des Deutschen Bauernverbands (DBV), Karsten Schmal, rechnet der F.A.Z. vor: „In der Regel bleibt ein Kalb drei Wochen auf dem Hof, auf dem es geboren worden ist. In dieser Zeit kostet ein Kalb etwa 150 bis 200 Euro. Nun sind mir 8,50 Euro noch nicht untergekommen, aber wir haben Kälber schon für 50 Euro verkauft. Und selbst das ist finanziell schon zu wenig, wenn die Kosten herangezogen werden.“
Rinderzucht nicht rentabel
Die Bundesregierung begründete den Preiseinbruch mit einem Überangebot an Kälbern. Üblicherweise werden überzählige männliche Jungtiere an ausländische Mastbetriebe verkauft. Transportzahlen der Bundesregierung zeigen jedoch, dass der Export zuletzt ins Stocken geraten ist. Von Januar bis August dieses Jahres wurden etwas mehr als 418.000 Kälber mit einem Gewicht von unter 80 Kilogramm exportiert. Im Vorjahreszeitraum waren es rund 40.000 mehr. „Im wirtschaftlichen Bereich kommt es immer wieder zu Schwankungen, die nicht immer an einer einzelnen Ursache festgemacht werden können. Beispielsweise können das Auftreten von Tierkrankheiten, die mit Handelsrestriktionen einhergehen, oder saisonale Bedarfe zu Schwankungen führen“, teilte eine Sprecherin des BMEL auf Anfrage der F.A.Z. mit.
Der DBV macht für den Rückgang auch einzelne Veterinärämter verantwortlich. Sie würden keine Genehmigungen mehr für Kälbertransporte in andere EU-Länder erteilen. Das führe direkt und unmittelbar zu einem starken regionalen Angebotsüberhang und zu dem Preisverfall, heißt es auf Anfrage. Die oftmals mehr als 19 Stunden dauernden Transporte sind aus Gründen des Tierwohls umstritten. Wie „Spiegel Online“ berichtet, hatte Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) in einem Brief an ihren bayerischen Amtskollegen Zweifel geäußert, ob derartige Transporte mit der EU-Verordnung vereinbar seien.
AMI-Experte Koch sieht indes vielmehr die Blauzungenkrankheit als Hauptursache für den Preisverfall, die seit Dezember 2018 erstmals seit neun Jahren wieder in Deutschland grassiert. Für den Mensch ist die Seuche nicht gefährlich, doch sie habe dazu geführt, dass der Export von Kälbern eingeschränkt worden sei. „Der Verkauf ins Ausland ist aufgrund der Krankheit derzeit nur mit einer vorherigen Blutuntersuchung möglich. Das ist mitunter teurer als der Wert des Tieres, und das macht dann natürlich keiner“, sagte Koch. Er geht davon aus, dass die Seuche mit Hilfe von Impfungen schnell in den Griff zu bekommen ist – und die Preise dann auch wieder steigen: „Sie können nicht auf diesem Niveau bleiben.“ An der Fleischtheke habe sich die aktuelle Preislage indes bislang nicht bemerkbar gemacht.
Für Hubertus Paetow, Präsident der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft, hat das Problem eine weitaus größere Dimension: „Das Kalb hat keinen wirklichen Platz in der Wertschöpfungskette und so kommt es am Ende dazu, dass es im Prinzip verschleudert wird“, sagte er der F.A.Z. Kälber sind Koppelprodukte der Milcherzeugung: Um eine Kuh melken zu können, muss sie zuvor ein Kalb geboren haben. Bis zu sieben Kälber soll eine Kuh im Laufe ihres Lebens auf die Welt bringen – nicht alle werden im Betrieb gebraucht. Der Bedarf an Milchkühen stagniere und die Rinderaufzucht zur Fleischherstellung sei in Deutschland aufgrund der starken Konkurrenz aus Südamerika nicht rentabel, sagte Paetow. Um den Preis für Kälber langfristig zu stabilisieren, nannte er zwei Möglichkeiten: „Entweder wir sind freiwillig bereit, für Rindfleisch deutscher Kälber erheblich mehr zu bezahlen oder wir lassen uns ein Verfahren einfallen, das sicherstellt, dass der wesentliche Teil der deutschen Kälber auch rentabel zur Fleischproduktion verwendet werden kann.“ Vorstellbar sei etwa eine Subvention, damit die Betriebe das „Wagnis Rindermast“ eingehen.