Syrien :
Die Finanzquellen der neuen Machthaber

Gastbeitrag
Von Regine Schwab
Lesezeit: 5 Min.
Selfie mit Heli: Anfang Dezember ging es noch um die Befreiung Syriens. Die kostete Kraft, aber auch Geld. Nun muss sich ein neues Regime finanzieren.
Die Rebellen haben ihre Arme wie eine Krake über ihre Gebiete ausgestreckt. Ein verzweigtes Netzwerk verschaffte ihnen das Geld, das sie brauchten. Ein Modell für ein neues Syrien ist dies nicht, erklärt die Konfliktforscherin.
Merken

Anfang Dezember eroberten syrische Rebellengruppen unter Führung der islamistischen Hai’at Tahrir al-Scham (HTS), was so viel wie Befreiungsfront für die Levante oder Syrien bedeutet, in weniger als zwei Wochen Damaskus. Sie beendeten damit einen fast vierzehnjährigen Bürgerkrieg. Seitdem regiert in Syrien eine von der HTS dominierte Übergangsregierung. HTS wurde 2011 als syrischer Ableger des „Islamischen Staats“ (IS) im Irak gegründet, damals noch unter dem Namen Dschabhat al-Nusra (Unterstützungsfront). In den ersten Jahren zählte die Gruppe einige Tausend Kämpfer, heute sind es Zehntausende. Wie kam es zu diesem rasanten Aufstieg? Eine zentrale Rolle spielte das komplexe Finanzierungsmodell der Gruppe.

Um zu verstehen, wie die Finanzierung und damit die Macht von HTS funktioniert, muss man an den Anfang zurückgehen. Zunächst wurde HTS vom IS im Irak und von Al-Qaida finanziert, als die beiden dschihadistischen Netzwerke noch zusammengehörten. Doch schon bald eignete sich die Gruppe lokale Ressourcen an, indem sie Waffen, Munition und Treibstoffvorräte des Regimes erbeutete. Schon 2013 kontrollierte die HTS zusammen mit anderen Oppositionsgruppen weite Teile Nordsyriens. Die Gruppe konzentrierte sich auf die Kontrolle lebenswichtiger und gewinnbringender Ressourcen wie Getreidesilos, Wasserkraftwerke und Elektrizitätswerke. Sie eroberte auch Ölquellen in Deir ez-Zor im Osten des Landes, bevor diese im Sommer 2014 vom IS eingenommen wurden. Auch Entführungen zur Erpressung von Lösegeld gehörten zu ihrem Portfolio. Die Gruppe legte daher großen Wert auf Eigenfinanzierung und Diversifizierung der Einnahmequellen. Dazu zählten auch ausländische Quellen.

Hier sind vor allem wohlhabende Salafisten aus den Golfstaaten zu nennen, die in den Jahren 2012 und 2013 radikal-islamistische Gruppen in Syrien regelrecht mit Geld überschwemmten. Vor allem in Kuwait ansässige religiös-politische Organisationen und Netzwerke wie die Umma-Partei spielten eine wichtige Rolle bei der Finanzierung salafistischer Gruppen wie Ahrar al-Scham. Es ist davon auszugehen, dass auch Gelder an HTS und IS geflossen sind.

Geldtransfers auf verschlungenen Wegen

Durch die enge Zusammenarbeit der Gruppen gelangten Waffen und Gelder auch in falsche Hände. Das Geld floss vor allem über sogenannte Hawalas, informelle Geldtransfers, die außerhalb der regulierten internationalen Bankennetze abgewickelt werden. Über das Internet beschaffte Dollars wurden zwischen privaten Bankkonten transferiert und von Kurieren per Hand zugestellt, oft in türkisch-syrischen Grenzstädten. Diese Quellen versiegten ab 2014.

Bei der Versorgung wird niemand ausgeschlossen: auch nicht hier in einem Flüchtlingslager in Idlib
Bei der Versorgung wird niemand ausgeschlossen: auch nicht hier in einem Flüchtlingslager in IdlibReuters

Seit 2017 hat sich die finanzielle Lage der Gruppe grundlegend verändert. Bis Mitte 2017 war Ahrar al-Scham – Hauptpartner und Rivale von HTS – die zentrale Macht im Nordwesten Syriens und kontrollierte die wichtigsten wirtschaftlichen Ressourcen wie den Grenzübergang Bab al-Hawa zur Türkei. Dieser erwirtschaftete durch den Import von Waren schätzungsweise bis zu 4 Millionen US-Dollar pro Monat. Mitte 2017 eroberte HTS Bab al-Hawa und übernahm sukzessive die Kontrolle über Idlib und die umliegenden Gebiete. Darüber hinaus kontrollierte HTS weitere Grenzübergänge im Landesinneren, auch zwischen Rebellengebieten und vom Regime kontrollierten Gebieten, die ebenfalls Millionenbeträge durch Gebühren und Zölle einbrachten.

Rebellen erheben Steuern und fordern Abgaben

Die Gruppe monopolisierte auch die Verwaltung, die zuvor in den Händen verschiedener Rebellengruppen lag. Zu diesem Zweck gründete HTS Ende 2017 die Syrische Rettungsregierung. Diese war nominell unabhängig, doch hinter den Kulissen zog HTS weiterhin die Fäden.

Durch die enge Verflechtung mit dieser Regierung erschloss sich die Gruppe neue Finanzierungsquellen: Sie erhob Steuern und Abgaben auf alle Dinge des Lebens und monopolisierte die Wirtschaft. So kontrollierte HTS über mit ihr verbundene Unternehmen und Händler die Verteilung von Lebensmitteln und anderen Gütern wie Gas und Treibstoff. Auch Internet- und Kommunikationsdienste wurden von einer Behörde monopolisiert, die durch ungünstige Konditionen für Internetanbieter hohe Gewinne machte. Der Stromsektor wurde von einem mit HTS verbundenen Unternehmen kontrolliert. Die gesamte Finanzierung lief über die Cham-Bank in der Stadt Idlib, die aus der HTS eigenen Hawala-Gesellschaft hervorgegangen ist.

Kontrolle der Treibstoffpreise

Seit 2018 dominierte Watad Petroleum, ein eng mit HTS verbundenes Unternehmen, den Treibstoffmarkt in Idlib. Dieses Unternehmen war lange das einzige, das eine Lizenz für den Import und Vertrieb von Öl und Gas nach und in Idlib besaß und damit auch die Treibstoffpreise kontrollierte. Zivilisten, aber auch Krankenhäuser und Bäckereien litten unter den oft hohen Preisen. Im Jahr 2022 löste sich das Unternehmen aufgrund von Vorwürfen und Krisen auf und übertrug die Verantwortung für die Treibstoffversorgung der Generaldirektion für Erdölderivate, die ihrerseits die Importlizenz an Unternehmen vergab, die sich im Besitz von HTS nahestehenden Personen befanden.

Die Zivilbevölkerung wurde auch selbst zur Kasse gebeten, zum Beispiel durch eine Straßengebühr, die von Menschen entrichtet werden musste, die durch von der HTS kontrollierte Gebiete fuhren. Gebühren wurden auch für Autos, Motorräder, Straßenreinigung, Müllabfuhr, Strom und Wasser erhoben. Außerdem konfiszierte die Gruppe landwirtschaftliche Flächen und Immobilien, die zuvor in staatlichem oder privatem Besitz waren und nun an Flüchtlinge und Bauern vermietet oder verpachtet wurden.

Druck auf Hilfsorganisationen

Seit der Übernahme des Grenzübergangs Bab al-Hawa Mitte 2017 hat die Gruppe auch immer wieder versucht, von der eintreffenden internationalen humanitären Hilfe zu profitieren, indem sie lokale Hilfsorganisationen zwang, Verträge über Dienstleistungen wie Treibstoff abzuschließen, oder Gebühren für Transportfahrzeuge erhob. Dies führte Ende 2018 sogar zu einer kurzfristigen Unterbrechung der Hilfslieferungen der USA und Großbritanniens nach Idlib.

In den vergangenen Jahren wurde auch vermehrt in den Freizeitsektor investiert, beispielsweise in Restaurants, Cafés, Parks und Einkaufszentren. Geschäftsleute und Unternehmen, die mit HTS in Verbindung stehen, investierten auch in Geflügel- und Viehzucht, Steinbrüche für Baumaterial und den Autohandel. Kurzum: Alles, was in der Provinz Idlib geht, steht und fährt, wurde besteuert, aus allen Notwendigkeiten des Lebens hat die Gruppe Profit geschlagen. Ein Großteil der Gelder floss in militärische Ausrüstung und Ausbildung, aber auch in den Bau von Straßen und die Versorgung der Zivilbevölkerung mit Gütern und Dienstleistungen. Die Diversifizierung der Einnahmequellen stärkte die Resilienz der Gruppe und trug schließlich dazu bei, dass sie zu der wichtigen Rebellengruppe wurde, die die entscheidende Militäroperation Ende November 2024 anführte.

Es ist zu erwarten, dass viele dieser Unternehmen und Geschäftsleute nun in ganz Syrien aktiv werden und sich weiter bereichern. Obwohl der Wirtschaftsminister der Übergangsregierung eine Liberalisierung der Wirtschaft anstrebt, ist dies angesichts der Geschichte von HTS schwer vorstellbar. Ihr komplexes Finanzierungsmodell hat sich für die Gruppe bewährt, es kann aber kein Wirtschaftsmodell für das neue Syrien werden.

Dr. Regine Schwab
Regine Schwab ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung und Lehrbeauftragte an der Goethe Universität Frankfurt. Sie forscht zu bewaffneten Konflikten und nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen mit einem Fokus auf den Nahen Osten, vor allem Syrien.
Bild: Privat
  翻译: