Kommentar :
Fernweh

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Zu Weihnachten, Silvester und Neujahr hat im Programm vor allem von ARD und ZDF neben den eigentlichen Festtagssendungen, in denen zuerst besinnlich und dann ausgelassen volksmusiziert wird, ein Genre Vorrang: die Reisereportage.
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Zu Weihnachten, Silvester und Neujahr hat im Programm vor allem von ARD und ZDF neben den eigentlichen Festtagssendungen, in denen zuerst besinnlich und dann ausgelassen volksmusiziert wird, ein Genre Vorrang: die Reisereportage. Zuschauer des Ersten reisen dieses Jahr zu Weihnachten mit Klaus Bednarz nach Feuerland und Patagonien, letztes Jahr hatten sie der Intendant des WDR höchstselbst, Fritz Pleitgen, und die Polen-Korrespondentin Annette Dittert mit an den Bug genommen - die neue Ostgrenze der EU, die sich zwar anschickt, die Türkei aufzunehmen, vor der heldenhaft demokratischen Ukraine aber haltmacht. Für das ZDF reist derweil heute und am Donnerstag der Korrespondent Uwe Kröger in den Norden Kanadas, um das "Abenteuer Weiße Wildnis" zu bestehen, auf das sich in der neuen Ausgabe des Dokumentarspiels "Sternflüstern: Jenseits des Polarkreises" abermals zwei Familien eingelassen haben, die einen Winter lang Permafrost und Polarnacht trotzen wollen. Doch all diese unsere globetrottenden Stellvertreter spielen bloß mit der Gefahr. Manchmal überspielen sie sie auch, wenn zum Beispiel die geplagten Doku-Soap-Darsteller aus gesundheitlichen Gründen den Versuch unterbrechen, sich den Elementen zu stellen. Und gerade an Weihnachten wird dieses Programm für die daheimgebliebenen Eskapisten von der Realität grausam eingeholt. Vor einem Jahr war es das Erdbeben in der iranischen Stadt Bam, das 35 000 Menschenleben gefordert haben soll, nun die Flut im Indischen Ozean, bei der, jüngsten Zahlen zufolge, mehr als 20 000 Menschen zu Tode gekommen sind. Unter ihnen offenbar auch zahlreiche Touristen, die eine Reise unternommen haben, wie sie das Zweite am Sonntag abend vorspielte. Dort kam zuerst das "ZDF Spezial - Die Todesflut", dann das "Traumschiff" auf Samoa und danach noch einmal eine Nachrichtensendung zum wohl schwersten Beben seit vierzig Jahren. Das Fernweh, das Serien und Reisereportagen befördern, wandelt sich in jähes Entsetzen und die Erkenntnis, daß mit der Entfernung auch die Gefahren wachsen - können. In einer Nachrichtensendung tauchte allerdings ein Passagier auf, der seine Reise in die Südsee gar nicht antreten konnte und ganz verärgert war, daß er auf die Rückumleitung nach Wien warten mußte. Er hatte wohl noch nicht begriffen, daß er in Terminal eins des Frankfurter Flughafens viel besser aufgehoben war als in Phuket. Ganz zu schweigen von denen, die sich gar nicht überlegen können, ob und wohin sie reisen wollen, sondern der Gefahr nicht entfliehen können, die uns so weit weg scheint, auch wenn der Reisekatalog und das Abendprogramm uns etwas anderes weismachen wollen.

miha.

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