Forschungszentrum Auschwitz :
Die Nazi-Villa soll jetzt dem Kampf gegen den Hass dienen

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Von der Seite des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau aus gesehen: Die einstige Kommandantenvilla von Rudolf Höß, die der Architekt Daniel Libeskind zu einem Forschungszentrum umbauen soll
„Haus des schlimmsten Massenmörders der Geschichte“: In der einstigen Kommandantenvilla des KZ Auschwitz soll ein Zentrum gegen Extremismus entstehen.
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Hell scheint die Morgensonne durch die Bäume am Ufer der Sola durch das Ostfenster in den Eckraum hinein. Von einem kleinen Erker schweift der Blick über die Wiesen auf der anderen Seite des Flusses. Staub wirbelt auf über dem Fischgrätenparkett. Doch tritt man an das Südfenster, stoppt die Idylle jäh. Der Blick geht über eine Betonmauer, Wachtürme, zwei Reihen Stacheldraht sowie rote Ziegelbaracken. Mutmaßlich hier hatte Rudolf Höss sein Privatbüro, denn in diesem Haus lebte der Kommandant des Konzentrations- und Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau von Mai 1940 bis November 1943 mit seiner Frau Hedwig und den fünf Kindern.

„Es geht hier aber nicht um Rudolf Höss“, sagt Hans-Jakob Schindler. „Wir kümmern uns hier darum, was sich aktiv gegen Ideen tun lässt, die zu seinen Taten führten.“ Schindler ist Direktor des Counter Extremism Project (CEP), einer Nichtregierungsorganisation, die sich dem Kampf gegen Extremismus jeglicher Art verschrieben hat und ihn vor allem im Internet und den sozialen Medien bekämpfen will. Vor zehn Jahren begannen sie mit dem Kampf gegen die Verbreitung islamistischer Propaganda im Internet, doch inzwischen gehöre auch „das proaktive Gegenhalten gegen die sich ausbreitende Welle des Antisemitismus“ zum Repertoire. Der Zufall wollte es, dass das CEP im vergangenen Jahr die einstige Höss-Dienstvilla samt Grundstück erwerben konnte. Der letzten Bewohnerin, die in dem Haus aufgewachsen war, das ihre Eltern von der polnischen Offiziersfamilie gekauft hatten, die es nach dem Krieg zurückerhalten hatte, war es zu groß geworden.

Hinter Milchglasscheiben und der Gartenmauer geschah das Grauen

Am Montag, an dem sich die Befreiung von Auschwitz-Birkenau zum 80. Mal jährte, führt Schindler nun zahlreiche Besucher durch das erstmals für die Öffentlichkeit geöffnete Haus. Am Eingang ist das Baujahr 1937 im Steinfußboden eingelassen; das Haus war ursprünglich für das polnische Militär errichtet worden. Die Räume sind leer, Tapete hängt in Fetzen herab, Türen sind ausgehangen. In den nach Westen gelegenen Funktionsräumen seien einst Milchglasscheiben eingelassen gewesen, sagt Schindler, die Originalfenster hätten sie auf dem Gelände gefunden. „Höss wollte seine Familie abschirmen von dem, was im Lager geschah.“ Öffnet man das Küchenfenster, geht der Blick über Mauer und Hof direkt auf die Gaskammer, die einzige die im Lager vollständig erhalten ist. In ihr probten die Nazis das möglichst effiziente Morden. Schindler bezeichnet die Höss-Villa deshalb als „Haus des schlimmsten Massenmörders der Geschichte“. Der Unterschied zu anderen Massenmördern bestehe darin, dass Höss Menschen industriell töten ließ. „Er perfektionierte die Methoden, wie sich mit minimalstem Aufwand ein Maximum an Menschen planmäßig umbringen lässt.“ Und Höss erhielt dafür Belobigungen, wurde befördert für seine Ideen, elf Millionen Juden so schnell wie möglich zu beseitigen.

Banalität des Bösen auch im Bau: Einst durch Milchglasscheiben von innen „unsichtbar“ gemacht, blickt man durch dieses Fenster von Rudolf Höß’ Kommandantenvilla auf die Baracken des Konzentrationslagers Auschwitz
Banalität des Bösen auch im Bau: Einst durch Milchglasscheiben von innen „unsichtbar“ gemacht, blickt man durch dieses Fenster von Rudolf Höß’ Kommandantenvilla auf die Baracken des Konzentrationslagers AuschwitzAFP

Schreie, Schläge, Schüsse seien auch in der Villa nicht zu überhören gewesen, wie in dem jüngst Oscar prämierten Film „Zone Of Interest“, der in einem nahen Haus ähnlicher Bauart gedreht wurde, dargestellt. Nur die Kellerszene, in der Höss, im Film verkörpert von Christian Friedel, vom Treffen mit einer Inhaftierten, mit der er ein Verhältnis hatte, zurückkehrt, wurde hier gedreht. Schindler führt hinunter in den Keller bis hin zum Waschbecken, in dem sich der Film-Höss reinigt. Anfang der Vierzigerjahre führte hier ein unterirdischer Gang entlang, über den Höss in sein Hauptbüro ins Lager gehen konnte. Heute ist Schluss an einem Erdwall, vor dem eine rostige Glühbirne baumelt. Nach dem Krieg wurde der Gang auf der einstigen Lagerseite zugeschüttet.

Der Horror auf der anderen Seite der stacheldrahtgekrönten Mauer jedoch, für den Höss, der aus ärmlichen Verhältnissen in Südwestdeutschland stammte, verantwortlich war, ermöglichte seiner Familie ein gutes Leben – nicht nur durch das Gehalt, denn die Familie bereicherte sich auch am Eigentum der Ermordeten. Als das CEP das Haus übernahm, kamen auf dem Dachboden auch Relikte aus der Nazizeit zum Vorschein, die in einem der oberen Zimmer ausgestellt sind: Ein Waffen-SS-Kaffeebecher, eine Tüte Waschpulver, eine Dose „Lodix“-Schuhcreme und ein Päckchen „Aviatik“-Zigaretten. Dazu Fetzen der Oberschlesischen Zeitung von 1944 mit Durchhalteparolen und Todesanzeigen. In eine Dachluke gestopft fanden die neuen Eigentümer auch eine Häftlingshose: Blau-weiß gestreift mit rotem Dreieck, dem Zeichen für politische Gefangene.

Die entkernte Villa soll von Musik erfüllt sein

Die Villa an der Ulica Legionów 88, die unter deutscher Besatzung die Adresse Kasernenstraße 44 hatte, werde jedoch kein zweites Auschwitz-Museum, erklärt Schindler. Im Gegenteil: „Das Museum gegenüber zeigt, wie es bis 1945 war. Wir zeigen, was passieren muss, damit es nie wieder dazu kommt.“ Der Architekt Daniel Libeskind projektiert den Umbau zum „Auschwitz Research Center on Hate, Extremism, and Radicalization (ARCHER)“.

Sein Plan sieht vor, die äußerlich denkmalgeschützte Villa komplett zu entkernen und einen offenen Raum vom Erdgeschoss bis zum Dach zu schaffen. Darin soll dauerhaft von Häftlingen der Todeslager komponierte Musik erklingen, die der Dirigent Francesco Lotoro seit mehr als dreißig Jahren sammelt. „Die Menschen wussten, dass sie sterben, und schrieben noch ein letztes Stück Musik auf“, sagt Schindler. „Sie zu hören ist herzergreifend schön.“

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