Viele Frauen (und Männer) dürften sich freuen, denn der Paragraf 219a soll heute abgeschafft werden. Ein wahrer Wirtschaftskrimi ist Thema vor Gericht. Und: Die Ukraine und Moldau sind EU-Beitrittskandidaten. Der F.A.Z. Newsletter.
Das Wichtigste für Sie an diesem Freitag:
1. Das Ende von Paragraf 219a 2. Nach zähem Ringen sagt Brüssel Ja zur Ukraine 3. Was mit der Gas-Alarmstufe gilt 4. Krisenparteitag der Linken 5. Wer plante den Säureangriff auf einen Topmanager? 6. Lauterbachs Herbstprognose 7. Deutscher Filmpreis wird verliehen
Das Gesicht im Kampf gegen das Abtreibungs-Werbeverbot: die Gießener Ärztin Kristina Häneldpa
1. Das Ende von Paragraf 219a
Die Debatte über das Abtreibungs-Werbeverbot war lang und emotional. Die Ärztin Kristina Hänel hat maßgeblichen Anteil daran, dass es fallen soll – sie will die Abstimmung im Bundestag auf der Besuchertribüne verfolgen.
„Wichtiger Schritt“: Eine der prominentesten Verfechterinnen der Abschaffung von 219a ist die Gießener Ärztin Kristina Hänel. Sie wertet die für heute anstehende Entscheidung zur Abschaffung des Werbeverbots für Abtreibungen als „wichtigen Schritt zur Informationsfreiheit“ für betroffene Frauen. „Ich freue mich, dass der unsägliche Paragraf, der viel Unheil angerichtet hat, damit der Geschichte angehören wird“, erklärte Hänel. Sie und andere auf Basis des Paragrafen verurteilte oder angezeigte Ärzte wollten wie Hänel die Abstimmung in Berlin verfolgen. Hänel war erstmals im November 2017 vom Amtsgericht Gießen zu einer Geldstrafe verurteilt worden.
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Ende der Strafverfolgung: Der Paragraf 219 des Strafgesetzbuchs regelt die Schwangerschaftskonfliktberatung. Mit ihm verbunden ist 219a, den die Ampel streichen – und damit das Ende des sogenannten Werbeverbots für Abtreibungen besiegeln will. Er soll wegfallen, weil Ärzte keine ausführlichen Informationen über Schwangerschaftsabbrüche öffentlich anbieten können, ohne Strafverfolgung befürchten zu müssen. Für das Vorhaben dürfte es im Bundestag eine Mehrheit geben.
Suizidbeihilfe: Der Bundestag befasst sich heute zudem in erster Lesung mit drei Vorlagen zur Neuregelung der Beihilfe zur Selbsttötung. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2020 das gesetzliche Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid aufgehoben. Nach dem Urteil ist die Hilfe Dritter bei der Selbsttötung grundsätzlich zulässig. Dem Gesetzgeber empfahlen die Richter, möglichen Missbrauch zu verhindern.
Bis der EU-Gipfel das von Kiew ersehnte Ja aussendet, dauert es einige Stunden. Auch Moldau erhält den Kandidatenstatus. Es ist der erste Schritt in einem langwierigen Beitrittsverfahren.
Was nun? Eine Garantie auf eine zügige Aufnahme in die EU ist der Kandidatenstatus nicht. Als EU-Beitrittskandidat muss die Ukraine vor dem Beginn von Beitrittsverhandlungen zunächst sieben Voraussetzungen erfüllen. Es geht unter anderem um das Auswahlverfahren ukrainischer Verfassungsrichter und eine stärkere Korruptionsbekämpfung. Auch fordert die EU-Kommission, dass Standards im Kampf gegen Geldwäsche eingehalten werden und ein Gesetz gegen den übermäßigen Einfluss von Oligarchen umgesetzt wird. Georgien wurde der Status in Aussicht gestellt, sobald das Land bestimmte Reformen erfüllt hat.
Frust: Zunehmend frustriert sind neben dem Dauerbeitrittskandidaten Türkei die ebenfalls auf einen EU-Beitritt hoffenden Westbalkanstaaten. Das EU-Land Bulgarien blockiert seit mehr als einem Jahr die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit Nordmazedonien und Albanien, weil sich Nordmazedonien weigert, auf Forderungen zu den Themen Minderheiten, Geschichtsschreibung und Sprache einzugehen. Versuche, die Blockade vor einem am Rande des EU-Gipfels organisierten Westbalkan-Treffen zu lösen, scheiterten. Dort waren auch Bosnien-Hercegovina, das Kosovo, Montenegro und Serbien vertreten.
Ernährung: Kurz vor dem G-7-Gipfel rückt die Bundesregierung die weltweite Ernährungssicherung und die Suche nach Lösungen für blockierte Getreideausfuhren aus der Ukraine in den Mittelpunkt. Dazu laden Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), Agrarminister Cem Özdemir (Grüne) und Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) heute zu einer Konferenz in Berlin. International gibt es Bemühungen, mehr Exporte der Ukraine zu ermöglichen und alternative Transportwege zu etablieren.
Auf Sparflamme: Die Deutschen sollen runter drehen.dpa
3. Was mit der Gas-Alarmstufe gilt
Die Bundesregierung ruft angesichts der reduzierten Gaslieferungen aus Russland die zweite von drei Krisenstufen des Notfallplans aus. Was Verbraucher wissen sollten.
Preise: Im Durchschnitt haben sich die Gaspreise im April im Vergleich zum Vorjahresmonat mehr als verdoppelt – und dürften weiter steigen. Stadtwerke und andere Gasversorger dürfen nach Ausrufung der Alarmstufe die Preise aber nicht sprunghaft erhöhen, um so innerhalb weniger Wochen Mehrkosten an Kunden weiterzugeben. Das dürften sie nur, wenn ihnen ein Preisanpassungsrecht nach dem Energiesicherungsgesetz (EnSiG) ermöglicht wurde, wovon die Bundesregierung bisher keinen Gebrauch macht. Sie will vorher weitere Entlastungen auf den Weg bringen.
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Sparen: „Gas ist von nun an ein knappes Gut in Deutschland“: Wirtschaftsminister Robert Habeck mahnte Firmen und Verbraucher, Gas zu sparen und Heizungsanlagen warten zu lassen. Dadurch seien Einsparungen von 15 Prozent möglich. Die Versorgung sei aber gewährleistet. Die SPD verlangte, dass die Menschen geschützt würden, die hohe Energierechnungen nicht mehr bezahlen können. SPD-Vizefraktionschef Matthias Miersch forderte deswegen, Energiesperren für den Herbst und Winter gesetzlich zu verbieten.
Kohle: Mit der Alarmstufe ebnet der Bund auch den Weg dafür, Kohlekraftwerke zur Verstromung zu reaktivieren. Das sei mit Blick auf das Klima „schmerzlich“, aber für eine Übergangszeit notwendig, sagte Habeck. Das entsprechende Gesetz soll heute erstmals im Bundestag beraten werden, der Bundesrat stimmt am 8. Juli ab.
„Wer für die Partei spricht, muss die Position der Partei vertreten“: Janine Wisslerdpa
4. Krisenparteitag der Linken
Sexismusvorwürfe, Streit, Wahlniederlagen: Die Linke sieht sich in der Existenzkrise und braucht einen Neuanfang. In Erfurt stehen die Wahl der Parteispitze und Aussprachen an.
Kandidaten: Bei dem dreitägigen Treffen sollen die Delegierten am Samstag den Parteivorstand neu wählen und Streitpunkte klären, unter anderem die Position zum Ukrainekrieg und zu Russland. Spannend wird, ob die unter Druck geratene Vorsitzende Janine Wissler sich im Amt halten kann – und wer nach dem Rückzug von Ko-Chefin Susanne Hennig-Wellsow nachrückt. Für die Doppelspitze kandidieren neben Wissler und dem Leipziger Sören Pellmann acht weitere, bundesweit mehr oder weniger bekannte Frauen und Männer.
Richtungsstreit: Die frühere Fraktionschefin Sahra Wagenknecht betonte vor dem Treffen, an dem sie nach eigenen Angaben wegen einer Erkrankung nicht teilnehmen wird, den Richtungsstreit: „Dass jetzt auch der Linken-Parteivorstand für sogenannte Menschenrechtskriege ohne UN-Mandat wirbt, entsetzt mich. Das wäre der endgültige Bruch mit der bisherigen friedenspolitischen Tradition der Linken“, sagte sie der „Frankfurter Rundschau“ mit Blick auf die Linie zum russischen Angriffskrieg in der Ukraine.
Überlebenskampf: Die Linke kämpft nach den Misserfolgen bei der Bundestagswahl und den Landtagswahlen in diesem Jahr ums Überleben. Es bleibt abzuwarten, ob es der künftigen Führung gelingen wird, die Partei vor der endgültigen Spaltung zu bewahren. Pellmann sagte, er wolle die tiefen Gräben zuschütten. „Mein oberstes Ziel ist es, die Partei zu einen – von Sahra Wagenknecht bis Bodo Ramelow.“
Gezeichnet von der Säure-Attacke: Bernhard Günther, damaliger Finanzvorstand von Innogy, im Jahr 2020dpa
5. Wer plante den Säureangriff auf einen Topmanager?
Zwei Unbekannte überschütten den damaligen Innogy-Finanzvorstand Bernhard Günther 2018 in der Nähe seines Wohnhauses mit Schwefelsäue. Die Tat beschäftigt von heute an das Wuppertaler Landgericht.
Der Tatverdächtige: Erst knapp vier Jahre nach dem Anschlag auf den Manager im nordrhein-westfälischen Haan führte eine DNA-Spur im Januar dieses Jahres zur Festnahme eines tatverdächtigen Belgiers. Dem 42 Jahre alten Angeklagten drohen im Fall einer Verurteilung zwischen drei und 15 Jahren Haft wegen absichtlicher schwerer Körperverletzung.
Ungelöste Frage: Offen ist, wer der Auftraggeber war. Alle Ermittlungen gegen frühere Verdächtige sind laut der Wuppertaler Staatsanwaltschaft eingestellt worden. Günther, der inzwischen Finanzvorstand des finnischen Energieversorgers Fortum ist, vermutet ihn im beruflichen Umfeld. Er habe einen konkreten Verdacht, werde aber keinen Namen nennen. Nur kurz nach dem Angriff, bei dem Günther so schwer verletzt wurde, dass er zeitweise in Lebensgefahr schwebte, war bekannt geworden, dass die RWE-Tochter Innogy zerschlagen und Teile vom Konkurrenten Eon übernommen werden sollten.
Der Prozess: Der 55 Jahre alte Manager will persönlich zum Prozessauftakt im Gericht erscheinen. Später wird er als Zeuge aussagen. Das Gericht hat bis Ende August acht Verhandlungstage angesetzt.
Der Bundesgesundheitsminister erwartet mit Blick auf die Pandemie einen „sehr schweren Herbst“. Für die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes wollen Bund und Länder noch einen Bericht abwarten.
Sonderkonferenz am 1. Juli: Für die anstehende Novellierung des Infektionsschutzgesetzes soll die Untersuchung einer Sachverständigenkommission zur Wirksamkeit des Corona-Schutzes im vergangenen Winter die Grundlage bilden. Darauf haben sich Bund und Länder am Donnerstag geeinigt. Die genaue Ausgestaltung soll dann am 1. Juli vereinbart werden.
Gratistest-Regelung offen: Gesundheitsminister Lauterbach blieb bei der Tagung der Gesundheitsminister in Magdeburg dabei, Gratistests auf bestimmte Gruppen beschränken zu wollen. Der Bundestag dringt derweil darauf, die Bundesländer stärker an den Kosten zu beteiligen. Diese lehnen das ab – auch weil sie bereits sehr viel Geld für die Tests an Schulen ausgäben.
Gesundheitskooperation: Die EU-Staaten wollen derweil in Gesundheitskrisen deutlich enger zusammenarbeiten. So soll die EU-Kommission nun erstmals dazu in der Lage sein, einen EU-weiten Gesundheitsnotstand auszurufen und damit ein koordiniertes Vorgehen etwa beim Kauf und der Lagerung von wichtigen Gütern auszulösen. Aktuell stellen auch die sich ausbreitenden Affenpocken eine Gesundheitsbedrohung dar. Wie die Lage einzuschätzen ist, darüber berät aktuell ein von der Weltgesundheitsorganisation einberufener Notfallausschuss. Er soll beurteilen, ob es sich um eine „Notlage von internationaler Tragweite“ handelt.
Stehen heute in Berlin im Rampenlicht: Alexandra Maria Lara und Florian Gallenbergerdpa
7. Deutscher Filmpreis wird verliehen
Katrin Bauerfeind moderiert die Gala heute in Berlin. Die Branche diskutiert darüber, wie sich angesichts der Konkurrenz durch Streamingdienste wieder mehr Besucher in die Kinosäle locken lassen.
Preisverdächtig: Mit zwölf und damit mit den meisten Nominierungen geht der Schwarz-Weiß-Film „Lieber Thomas“ ins Rennen. Oft vorgeschlagen wurden zudem „Rabiye Kurnaz gegen George W. Bush“ (10) von Andreas Dresen und „Große Freiheit“ (8) von Sebastian Meise. Alle drei Produktionen konkurrieren bei Regie und Drehbuch und auch um die Goldene Lola für den besten Spielfilm. Ebenfalls als bester Film nominiert: die Tragikomödie „Wunderschön“ von Karoline Herfurth, der Film „Contra“ von Sönke Wortmann sowie das Drama „Spencer“ von Pablo Larraín.
Präsidentenduo: Seit rund zwei Monaten sind Alexandra Maria Lara und Florian Gallenberger Präsidenten der Filmakademie. Für sie steht bei der Verleihung des Deutschen Filmpreises heute ihr erster großer Moment in der neuen Rolle an. Die 43 Jahre alte Schauspielerin und der 50 Jahre alte Regisseur hatten das Amt im April übernommen und Ullrich Matthes abgelöst.
Pro-Kopf-Besuche: Im Interview mit der F.A.Z. schildert das Duo die Lage der deutschen Kinolandschaft als schwierig. Gallenberger weist etwa auf Unterschiede zum Ausland hin. „In Frankreich sind die Maßnahmen für das Kino enorm. Leider ist in Deutschland der Pro-Kopf-Besuch nicht mal halb so hoch wie in Frankreich – das ist unser Hauptproblem“, sagte er. Im Nachbarland werde Kino in der Schule unterrichtet, die Kinder lernten, „dass Film nicht nur Konsum ist“. Alexandra Maria Lara blickt dennoch optimistisch in die Zukunft: „Ich glaube, dass es Kunstformen gibt wie das Theater oder das Kino, die sich nicht ersetzen lassen.“
Ministerpräsident Pedro Sánchez würde gern das Zwei-Prozent-Ziel der NATO erreichen. Aber seine linken Koalitionspartner sperren sich – sie verlangen den Austritt aus der Allianz.
Auf dem F.A.Z.-Kongress sagt CDU-Chef Merz, was er mit Deutschland vorhat. Er stellt klar: Mit dem Schuldenpaket allein ist es nicht getan. Zum Beispiel brauche das Land „eine komplett andere Bundeswehr“.