Grüne : „Entsetzen“ über erfundene Anschuldigungen gegen Gelbhaar
Der Bundestagsabgeordnete der Grünen Stefan Gelbhaar hat juristische Erfolge gegen Medien erzielt, die Details zu angeblichen Belästigungsfällen veröffentlich hatten. Nachrede aus der Partei und dann insbesondere die Berichterstattung des Senders rbb hatten zur Folge gehabt, dass Gelbhaar im Wahlkreis Pankow vor zwei Wochen die Wiederkandidatur verwehrt wurde, obgleich er zuvor mit mehr als neunzig Prozent aufgestellt worden war. Gelbhaar wurde nach Auskunft des Bundesvorsitzenden der Grünen, Felix Banaszak, von acht Personen teilweise schweres Fehlverhalten vorgeworfen, wobei eine, die sich als Anna K. bezeichnete, wohl gar nicht existiert, wie der RBB Tage nach seiner detaillierten Berichterstattung über deren angebliche Aussage eingestand.
Gelbhaar erreichte beim Landgericht Hamburg am Dienstag eine einstweilige Verfügung gegen den rbb. Nach seinen Worten dürften die „Behauptungen und erhobenen Anschuldigungen“ gegen ihn nicht mehr verbreitet werden. Gelbhaar schrieb auf seiner Homepage: „Die Ergebnisse beider Verfahren nähren die Überzeugung, dass hier eine gezielte Kampagne gestartet wurde, um Stefan Gelbhaar politisch zu vernichten und persönlich zu schaden.“ Außerdem bestätigte er, dass er selbst Strafanzeigen gestellt hat. Der „Zeit“ sagte Gelbhaar, der selbst Rechtsanwalt ist, über seine Situation: „Der Politiker wurde zersetzt, der Mensch zutiefst erschüttert. Was noch steht, ist der Anwalt.“ Die Anschuldigungen hätten ihn in „eine kafkaeske Situation“ gebracht, in der er sich gegen Vorwürfe habe verteidigen sollen, „die ich quasi nicht kannte“.
Kreisverband unzufrieden mit Aufklärung
Die Bundespartei setzte unterdessen eine Kommission ein, welche die Vorwürfe der verbliebenen sieben Personen klären soll. Im Grünen-Kreisverband Pankow wurde auf einer Mitgliederversammlung am Dienstagabend Unzufriedenheit mit der Aufklärungsarbeit geäußert. „Mit Entsetzen haben wir zur Kenntnis genommen, dass ein Teil der Anschuldigungen gegen Stefan Gelbhaar unter falscher Identität erhoben wurde, indem eine eidesstattliche Versicherung möglicherweise gefälscht wurde“, hieß es in einem Beschluss der Versammlung. „Dieses Verhalten schädigt nicht nur die Partei, sondern vor allem auch mögliche betroffene Frauen sowie das Vertrauen in innerparteiliche Prozesse“, heißt es in dem Beschluss weiter. „Aber auch Stefan Gelbhaar ist insofern Opfer erfundener Vorwürfe sowie einer möglichen Straftat geworden. Dadurch ist ihm politisch wie persönlich schwerer Schaden zugefügt worden. Dies bedauern wir ausdrücklich.“
Die an Gelbhaars Stelle nominierte Grünen-Kandidatin für den Berliner Wahlkreis Pankow, Julia Schneider, hält an ihrer Kandidatur fest; eine Neuwahl, wie inzwischen von Berliner Grünen gefordert, stößt überdies auf rechtliche Hürden. Derweil trat der frühere Berliner Grünen-Abgeordnete Özcan Mutlu aus der Partei aus. Mutlu schrieb: „Die aktuellen Vorfälle sind kein isolierter Einzelfall, sondern Ausdruck eines tief verwurzelten strukturellen Problems im grünen Landesverband Berlin. Für eine Partei, die sich sonst moralisch über andere erhebt, ist es geradezu heuchlerisch und beschämend, einen Abgeordneten mit falschen Anschuldigungen derart skrupellos kaltzustellen.“ Er selbst habe das auch erlebt. Mutlu gehörte mehr als ein Jahrzehnt lang dem Berliner Abgeordnetenhaus an, bis 2021 dann dem Bundestag.
Im Fernsehsender Welt TV forderte der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki weitere Aufklärung des Falls durch den Grünen-Spitzenkandidaten Habeck. Der CDU-Landevorsitzende in Baden-Württemberg, Manuel Hagel, sagte dem Magazin „Focus“: „Ich habe mir schon die Frage gestellt, wie die Grünen auf ihrem hohen moralischen Ross wohl reagiert hätten, wenn andere Parteien sich so verhalten hätten. Da es hier wohl auch um Vorteile für den Wahlkampfleiter von Robert Habeck geht, kann der sich hier auch nicht mit wohlfeilen Appellen aus der Affäre ziehen.“ Damit ist Andreas Audretsch gemeint, der eigentlich gegen Gelbhaar für den relativ sicheren Listenplatz zwei antreten wollen. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe zog Gelbhaar seine Kandidatur zurück, Audretsch wurde gewählt. Er betonte mehrfach, nicht in die Vorgänge um Gelbhaar involviert gewesen zu sein.