So isst Politik : Nummer 17 für Wissler
Dienstag Abend in Birkenwerder, einem Städtchen in Brandenburg kurz vor Berlin. Ein paar Leute steigen die Treppe hoch zum Restaurant „Com Viet“. Erster Stock, Terrasse: erst mal eine rauchen. Heute ist Linken-Stammtisch, um die zwanzig Genossen sind da. Ehrengast: die Parteichefin Janine Wissler. Sie trinkt Weißweinschorle zur Zigarette, schaut zu, wie Freunde in „Sozialist“-T-Shirts einander umarmen, reicht die Hand, wenn jemand sich ihr vorstellt, stellt sich ebenfalls vor: „Janine, freut mich.“
Eher ungewöhnlich, dass eine Parteivorsitzende zum Abendessen vorbeikommt, aber Wissler war sowieso hier unterwegs, im Wahlkampf, und jetzt ist sie halt immer noch da. Schon mal ein Blick in die Speisekarte: Andrea aus der Gemeindevertretung empfiehlt die Nummer 17: angebratenes Rindfleisch serviert auf Reisnudeln, Preis: 11,50 Euro.
Das erste Getränk zahlt die Linke. Die Linksjugend bestellt genießerisch Eistee, das Glas für 6,50 Euro. Eine junge Frau warnt die Männer neben ihr: „Die F.A.Z. sitzt auch hier, nur dass ihr Bescheid wisst.“ Die lächeln nachdenklich. Die Linke hat gerade größere Probleme, zum Beispiel, dass sie vielen inzwischen einfach egal ist. Ebenfalls Angst macht ihr die AfD. Nicht nur theoretisch, Zahl der Mandate, Inhalt des Parteiprogramms. Dirk meldet sich zu Wort: „Was wir auf den Straßen erleben, ist, was wir in den Neunzigern hatten.“ Sein Sitznachbar ergänzt: „Baseballschlägerjahre.“ Die Nazis seien nie weg gewesen. Lange hätten sie sich aber nur, wenn keiner hinsah, getraut, Linke anzugreifen. Jetzt geschehe es am Tag, vor aller Augen.
Es gehe los mit Leuten, die zum Wahlkampfstand kämen, nur um drohend zu sagen: „In Brandenburg gilt rechts vor links!“ Ein anderer Genosse warnt die Runde, dass Rechtsextreme sich zum CSD Oberhavel am Samstag angesagt hätten. Die Polizei habe gewarnt: Da seien Hardcore-Nazis dabei, Gewaltbereite, nicht bloß welche, die Parolen riefen. Man solle sich gut überlegen, ob man den CSD wirklich feiern wolle. Die Linken wollen. Aber sie warnen einander: nur in Gruppen rumlaufen, immer vorsichtig und so weiter. Wissler nickt bitter.
Sie erzählt auch aus ihrer Welt: dass sie sich vergangene Woche im Bundestag gefühlt habe wie in einem AfD-Überbietungswettbewerb. Dass der Weggang von Wagenknecht auch eine Chance sei, wieder als linke Kraft wahrgenommen zu werden. „Aber“, fragt einer am Tisch ganz grundsätzlich, „wie kommt die Linke wieder nach vorn?“ Darauf sagt erst mal keiner was. Dann ein Stiller im „Sozialist“-Shirt: „Viel Geduld.“ Ein älterer Mann, Kinderarzt: „Nicht auf die anderen schimpfen, selbst was machen.“ Endlich kommt das Essen. Die 17, Rind mit Nudeln, versöhnt kurz mit den Schrecken der Zeit. Auch Wissler ist Andreas Empfehlung gefolgt. Zweite, dritte, vierte Getränke, Rauchen auf der Terrasse, weiterreden. Reden hilft.