Kolumne Hütten und Paläste : Fensterbank, wo bist du geblieben?

Früher bot das Brett vor der Scheibe reichlich Platz für Blumen, Kerzen, Bücher. Heute bringen bodentiefe Fenster nicht nur Dekofans in Bedrängnis. Ein Plädoyer für ein vom Aussterben bedrohtes Bauteil.
Wie hießen die noch, diese waagerechten Dinger vor den Fenstern, auf die man Blumenvasen und Fotos stellen kann? Ach ja, Fensterbank! Der Name kann einem schon mal entfallen, drohen doch Simse, Borde und Bretter im Innenraum zum Auslaufmodell zu werden. Wer sich die kastenförmigen Wohnhäuser in Neubausiedlungen anschaut, sucht sie meist vergebens. Bodentiefe Fenster, so weit das Auge reicht. Und auch im modernen Einfamilienhaus setzen Planer mittlerweile bevorzugt auf großzügige Glasfronten. Schade eigentlich, zwar erfüllt dieser innere, waagerechte Abschluss zwischen Mauer und Fenster keine bauliche Funktion. Doch wie praktisch ein solches Bord ist, fällt erst auf, wenn man nach dem Umzug darauf verzichten muss.
In der Küche bietet das Brett aus Stein, Holz oder Plastik Platz für Kräuter und Kochbücher, im Wohnzimmer stehen dort zu Weihnachten Schwibbogen, Kerze und der Weihnachtsstern, und im Schlafzimmer lässt sich darauf super die Lieblingslektüre stapeln. Doch ist das Bord deutlich mehr als reine Ablagefläche: ein Ort, der viel Licht für Pflanzen bietet und an dem sie besonders gut gedeihen. Eine Sitznische, in die man sich gemütlich mit Kissen, Decke und Tee kuscheln kann. Der Platz der Katze, die hier ihr Mittagsschläfchen hält. Oder ein Fenster zur Welt für die alte Dame, die sich mit den Ellenbogen auf ihr Kissen stützt und schaut, was die Nachbarn so treiben.
Zudem spart die Fensterbank unglaublich viel Platz. Während der Bewohner des simslosen Neubaus seine Möbel weder vor der Glasscheibe noch vorm Heizkörper aufstellen kann und so gleich doppelt wertvolle Stellfläche verliert, wird der Raum unter der Fensterbank oft für die Heizung genutzt – zwei Fliegen mit einer Klappe. Hinzu kommt: Wer auf ein Bord verzichten muss, braucht zusätzliche Möbel, um etwa die Orchidee oder den Kerzenständer darauf zu platzieren. Für die aus genannten Gründen aber gar kein Platz ist.
Die Fensterbank mag ein wenig altbacken anmuten, bei ihr denkt man schnell an rüschige Gardinen, spießige Topfpflanzen und kitschige Porzellanfiguren. Doch sollte man sie nicht gering schätzen. Denn sie bewahrt uns davor, ständig vor den Augen der Nachbarn sichtbar zu sein, sie markiert eine Grenze zwischen öffentlichem und eigenem Raum in der Wohnanlage, hinter ihr bleibt Privates privat. Und das ist ganz angenehm in einer Zeit, in der es üblich geworden ist zu Hause wie auf Social Media ständig blankzuziehen. Ein Teil darf ausgespart werden, Geheimnis bleiben. Vielleicht entspricht es doch den Bedürfnissen vieler Bewohner mehr, diesen Schutz und Rückzugsraum auch baulich wieder zu schaffen: Bitte baut sie wieder ein!