Bundestagswahl : Natalie Pawlik ohne Plan B unterwegs
Dieses Mal über die Landesliste in den Bundestag einziehen? Natalie Pawlik verzieht postwendend ihr Gesicht wegen dieser Frage. „Das fände ich nicht so gut, gemessen an der Arbeit, die mein Team und ich in den vergangenen Jahren geleistet haben“, sagt die Sozialdemokratin und fügt hinzu: „Da wäre ich schon ein bisschen gekränkt.“ Seit Oktober 2021 sitzt die Zweiunddreißigjährige als direkt gewählte Abgeordnete für den Wetterauer Wahlkreis im Bundestag. Im April 2022 übernahm sie die Aufgabe der Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten.
Ihr Werdegang bietet sich für dieses Amt an. Kam Pawlik doch mit ihren Eltern und ihrer Schwester im Alter von sechs Jahren als Spätaussiedlerin zunächst ins Erstaufnahmelager Friedland und bald darauf nach Bad Nauheim. Dort unterhält sie auch in den Kolonnaden ihr Wahlkreisbüro.
Pawlik kommt im schwarzen Hosenanzug nebst heller Bluse zum Gespräch – so tritt sie auch auf einem ihrer Wahlplakate auf. Die zierliche Frau nimmt den dritten Anlauf für die Wahl in den Bundestag. 2017 wagte sie mit nur 24 Jahren den ersten Versuch. Seinerzeit hatte sie schon Erfahrung als ehrenamtliche Politikerin in der Stadtverordnetenversammlung von Bad Nauheim sowie im Wetterauer Kreistag gesammelt und gerade ihren Bachelor in Geschichts- und Kulturwissenschaften an der Uni Gießen gemacht. Das SPD-Parteiorgan „Vorwärts“ jubelte angesichts ihres Werdegangs: „Das Aufstiegsversprechen der SPD hat ein neues Gesicht: Natalie Pawlik.“
„Ich mache hier nicht nur Genossen-Bespaßung“
Doch nach der Wahl jubelte vor allem ihr Konkurrent Oswin Veith von der CDU. Die junge Kandidatin zog gegen den früheren Butzbacher Bürgermeister und Kreiskämmerer im Werben um die Erststimmen den Kürzeren. Vier Jahre später drehte sie den Spieß um und ließ den CDU-Kandidaten Armin Häuser hinter sich, den früheren Bürgermeister ihrer Heimatstadt.
Seitdem hat sie die Zeit genutzt, sich in der Wetterau bei Menschen, Unternehmen und Vereinen bekannt zu machen. Ihr Instagram-Auftritt zeigt sie etwa bei der Lebenshilfe, den Wetterauer Eisenbahnfreunden, auf der Tribüne des EC Bad Nauheim, bei der AWO in Florstadt und an einem Roboter in einem Betrieb für Automatisierungstechnik sowie im Gespräch mit Jugendräten von Friedberg und einem Mitarbeiter vom Café Jost in der Kurstadt, in dem Menschen mit und ohne Behinderungen arbeiten. Dazwischen finden sich Nachrichten über in die Region fließende Fördergelder des Bundes, zum Beispiel zu den gut 22.200 Euro für einen Jugendcontainer des SV Philippseck Fauerbach in Butzbach. Die Politikerin nennt zudem beispielhaft die Zuschüsse zur Arbeit im Jugendhaus Heilsberg in Bad Vilbel und zur Sanierung der Sporthalle in Wölfersheim. Auch Amtsträger mit anderem Parteibuch nutzen den Kontakt zu ihr, wenn es um Wetterauer Interessen in Berlin geht. Schon vor einem Jahr hat Pawlik der F.A.Z. gesagt: „Ich mache hier nicht nur Genossen-Bespaßung.“
Auf die Bundeszuschüsse sei sie durchaus stolz. Andererseits erlebe sie in der Hauptstadt auch immer wieder Tage, an denen sie „alles hinschmeißen“ wolle. So habe sie ein halbes Jahr lang eingehend daran mitgewirkt, einen Teil der Sozialgesetze zu überarbeiten. Sie sei morgens oftmals um sechs Uhr aufgestanden, um für die jeweilige Sitzung vorbereitet zu sein. Letztlich sei aber alles für die Katz gewesen. Die FDP habe das Vorhaben unterlaufen, wie sie hinterher erfahren hat im Zusammenhang mit den „D-Day“-Papieren. Dabei sei es etwa um die Digitalisierung der Bundesagentur für Arbeit gegangen. „Wie kann eine Partei gegen so etwas sein?“
Stolz darauf, nahbar zu sein
Zufrieden schaut sie dagegen auf neue Vorgaben des Bundes zur Weiterbildung. Wenn sich ein Jugendlicher direkt nach der Schule beruflich orientieren wolle, übernehme die Bundesagentur für Arbeit anders als früher die Kosten dafür. Das nütze besonders kleinen und mittleren Betrieben – und die gibt es in der Wetterau zuhauf. Unternehmen nehmen diese Möglichkeit rege in Anspruch. Das findet sie „sehr cool“. Stolz sei sie auch darauf, nahbar zu sein. Dies und die hierzulande gebotenen Aufstiegschancen versuche sie, im Verlauf von Praktika in Betrieben und Besuchen jungen Leuten zu vermitteln.
Sie sagt vor diesem Hintergrund selbstbewusst: „Ich kenne die Bedarfe im Ort und weiß, wo die Menschen der Schuh drückt.“ Pawlik weiß aber auch: Vor vier Jahren hatten es Sozialdemokraten im Wahlkampf leichter als in diesen Tagen. Sie sehe die Trends mit Blick auf die SPD und deren Beliebtheit. Anders ausgedrückt: Sozialdemokraten bläst der Wind derzeit voll ins Gesicht. Das zeigen auch unverschämte Zuschriften in Pawliks Postfächern und nicht zuletzt die Daten der Umfragen, die ihre Partei hinter der Union und der AfD sehen.
Immerhin liegt die SPD oberhalb der 16 bis 17 Prozent, die ihr Wölfersheimer Ehrenvorsitzender Gerhard Weber als notwendig erachtet, um Pawlik einen Wiedereinzug ins Parlament über die Landesliste zu ermöglichen. Die Kandidatin sagt, sie sei im Wahlkampf keinesfalls zu selbstsicher unterwegs. In der Politik könne es auch bald vorbei sein. Einen ausgefeilten Plan B habe sie zwar nicht. „Aber ich bin gut ausgebildet und werde ein gutes Leben haben“, hebt sie hervor.
Verantwortungsgefühl für das große Ganze
Pawlik will dessen ungeachtet ihr Direktmandat verteidigen. Wie im Wahlkampf allgemein üblich, werben auch überregional bekannte Gesichter für sie und ihr Ziel. So wie Bundesarbeitsminister Hubertus Heil in diesen Tagen während eines politischen Mittagessens mit rund 100 Gästen im kleinen Saal der Trinkkuranlage in Bad Nauheim.
Heil bescheinigte Pawlik, auf sie träfen die vom liberalen Soziologen Max Weber formulierten Kennzeichen guter Politiker zu. Die Kurstädterin mache Politik mit Leidenschaft, zeige Verantwortungsgefühl für das große Ganze und nicht nur für einzelne Gruppen und beweise Augenmaß. Pawlik freute sich, doch auf Applaus reagiert sie fast verlegen. Ihre frühere Büroleiterin beschreibt die Bundestagsabgeordnete gleichwohl als ehrgeizige und ausdauernde Persönlichkeit mit unermüdlichem Engagement. Sie preist sie überdies als Vorbild in Sachen Menschlichkeit und Professionalität.
Die Kandidatin finanziert ihren Wahlkampf selbst, wie sie sagt. Monatlich zahlt sie demnach 1000 Euro an die SPD, ein Teil des Geldes fließt für Veranstaltungen an sie zurück. Hinzu kämen Spenden. Darunter seien größere Beträge, manche Einzelspender unterstützen sie nach ihren Worten mit bis zu 2000 Euro. Die meisten Überweisungen fielen aber viel kleiner aus. Zehn Euro hier, 50 Euro dort, sie stammten von alleinerziehenden Pflegekräften, Rentnern und Arbeitern. Klassische SPD-Klientel.