Historiker Harold James : Von Wörtern als Waffe
Kamala Harris, eine „Kommunistin“, Friedrich Merz, ein „Nazi mit Substanz“, die „Welt“ beschwört einen „Kulturkampf“ um die Wärmepumpe, und mit Trumps Ansinnen, Grönland zu annektieren, sei die „Geopolitik“ zurück. Man ist intuitiv geneigt, dem britischen Historiker Harold James zuzustimmen: Es brodelt ein semantischer Krieg, in dem die Begriffe selbst zu bloßem Kanonenfutter verkommen. Eifrig suchen Politiker, Aktivisten, Nutzer und Bots auf der Plattform X oder bei Lanz nach Wortmaterial, das ins Feld geführt und mit dem ideologischen Gegnern gehörig eingeheizt werden kann.
In der Einleitung zur deutschen Ausgabe seines Buches „The War of Words“, die jüngst bei Herder erschienen ist, moniert der renommierte Wirtschaftshistoriker James, dass die Wörter dem Getöse selbst zum Opfer fallen, ihres semantischen Kerns beraubt würden. Begriffe, die früher einst eine klare Definition gehabt hätten, würden aufgebläht, moralisiert und überdehnt. Als simple Labels infizierten sie die aktuelle Debatte, dämonisierten den Diskurs. Sein Buch, „Der Krieg der Worte“, wird als Antitoxin präsentiert, eine klare historisch fundierte Grundlage für eine gemeinsame Sprache zum Wohle der politischen Debatte.
Die historisierende Perspektive hat etwas heilvolles
Sechzehn „Schlüsselbegriffe“ werden dem Leser im Untertitel versprochen, tatsächlich untergliedert sich das Buch in 15 thematische Kapitel, die sich mitunter mit mehreren sinnverwandten Begriffen auseinandersetzen. Es geht um die großen Themen: Kapitalismus, Sozialismus, Multilateralismus, Populismus, Technokratie oder Globale Gerechtigkeit. In essayistischem Stil skizziert James deren semantischen Werdegang durch die Zeiten, umreißt ihren konzeptuellen Ursprung.
Die historisierende Perspektive, die James dabei einnimmt, hat in der Tat etwas heilvolles. Indem er sich viel bemühten Begriffen von der konzeptuellen Pike aus nähert, sensibilisiert er für die Umstände, in denen Ideen, Institutionen und politische Selbstverständlichkeiten entstanden sind, die unsere Welt und den Diskurs darüber prägen. Das verdeutlicht einmal mehr deren Fragilität und mahnt zu Bedacht und Umsicht im Hinblick auf unsere politische Ordnung – und die verbalen Gefechte darüber.
Konkret offenbaren sich viele Kapitel allerdings als konzise Abhandlungen, die mitunter nur schwer zugänglich sind. Munter operiert James mit Begriffen wie „Kreditkanal“, „Smoot-Hawley-Zollgesetz“ oder „Swap Lines“, es fehlen (teilweise in Gänze) Erklärungen und Kontextualisierungen. Der Leser kämpft sich durch einen dichten Teppich aus Namen, „-Ungs“ und „-Ismen“. Ohne wirklich versiertes Finanz- und Wirtschaftswissen dürften viele Abschnitte schlicht nicht verständlich sein, außer vielleicht mit erheblichem Google-Aufwand – und das muss man dann wirklich wollen. Auch die thematische Schlagseite ist, zumindest gemessen am selbstbewussten Anspruch des Buches, problematisch. Ein Beispiel: Im mehr als dreißig Seiten langen Kapitel zum Neoliberalismus findet sich lediglich ein langer Absatz, in dem sich James (anhand von Foucaults Konzept der „Biopolitik“) dezidiert der Debatte in den Geistes- und Sozialwissenschaften widmet. Das verwundert, ist doch gerade die heiß diskutierte Ausdehnung einer ökonomisierten Weltsicht Stein des Anstoßes unzähliger Wortgefechte um den Begriff Neoliberalismus. Da wirkt die Auswahl fast beliebig.
Ein Streifzug durch die Ideengeschichte
Es will auch kein rechtes Lesevergnügen aufkommen, zu gedrungen ist die Sprache, zu dicht die Aneinanderreihung von Daten und Fakten. Man würde dem Lektorat gern zurufen: Hier braucht es noch eine Erklärung und dort! Zudem stolpert der Leser zuweilen auch sprachlich, es finden sich viele Rechtschreib- und Tippfehler, sogar der Titel des englischen Originalwerks ist falsch angegeben. Das mag man klein kariert finden, es fügt sich aber doch in einen Gesamteindruck: Besonders ausgeruht wirkt die deutsche Version nicht. Das ist bedauerlich, Harold James fundiertes Wissen, seine klugen Beobachtungen wären ohne Frage eine Bereicherung für jegliche Debatte.
Letztlich schwebt über dem ganzen Buch allem voran der programmatische Rahmen wie ein Damoklesschwert, in dessen Fahrwasser James die Kapitel durch Einleitung und Schluss stellt: die Feststellung eines „durcheinandergeratenen Wortschatzes“ und der Anspruch, eine Art Grundlage für die breite vergiftete politische Debatte zu schaffen, ein gesellschaftliches Antitoxin. Daran muss es gemessen werden, und dem wird „Der Krieg der Worte“ nicht gerecht: Die Kapitel gleichen eher einem Streifzug durch die Ideengeschichte, in einigen verweist James selbst darauf, dass die Konzepte kaum mehr auf einen Begriff reduziert werden können. Wie könnte es auch anders sein? Begriffe verengen oder erweitern nun mal ihre Bedeutungen, das ist aus Sicht der Sprachwissenschaften keineswegs ein neues Phänomen.
Natürlich haben sich die Spielfelder der Debatte verschoben: Öffentlichkeit ist für jeden zugänglich. Und das hat Auswirkungen auf die Verwendung von politischen Konzepten und somit auch auf die Verwendung der Begriffe selbst. Doch hilfreicher als sprachliche „DIN-Norm“-Phantasien wäre eine Debattenkultur, die einer so breiten Beteiligung gerecht wird: weniger Worthülsen, mehr Empathie und Erklärung. So richtig weiter kommt man dabei mit diesem Buch leider nicht.