Die USA und der Kongo :
Bestens für eine Gummiplantage geeignet

Von Jonas Anderson
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1892 wurde Richard Dorsey Mohun zum Handelsattaché der Vereinigten Staaten im Kongo-Freistaat ernannt. Sein Dienstsitz war die Hafenstadt Boma. Ohne förmlich in belgische Dienste zu treten, spielte er eine führende Rolle bei der militärischen Bekämpfung der arabischen Sklavenhändler. Auf diesem 1895 publizierten Foto präsentiert der eine seiner beiden einheimischen Fahnenträger das Sternenbanner, der andere die Flagge von König Leopolds Privatstaat.
Imperialismus im Namen des Freihandels: Der amerikanische Anteil an der Kolonialisierung des Kongobeckens wurde von isolationistischer Legendenbildung verdeckt.

Der Auftrag, den Frederick T. Freylinghuysen, Außenminister der Vereinigten Staaten von Amerika, dem frischgebackenen „commercial agent“ Willard P. Tisdel vor dessen Abreise nach Zentralafrika im September 1884 mit auf den Weg gab, war eindeutig: „Es soll der Versuch gemacht werden, schnellstmöglich herauszufinden, welche Artikel die Bewohner des Kongobeckens brauchen oder welche amerikanischen Hersteller und Produkte dort einen Absatzmarkt finden können.“ Die Entsendung des Handelsagenten fiel in eine Zeit, in der die europäischen Aktivitäten in Afrika rasant zunahmen.

„Kein Kartograph kann noch mit dem flinken Tun von Konsuln, Marineoffizieren und Entdeckern Schritt halten“: So illustrierte die Londoner „Times“, was die historische Forschung den „Wettlauf um Afrika“ nennt. Angesichts des Tempos, mit dem ständig neue Gebietsansprüche an den afrikanischen Küsten verkündet wurden, erschien eine internationale Verständigung über Regeln für die Inbesitznahme von Territorien und den Zugang zu Handel und Wasserstraßen dringlich. In Abstimmung mit Frankreich lud der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck daher die wichtigsten europäischen Mächte sowie die Vereinigten Staaten zu einer Konferenz nach Berlin.

Dass die Amerikaner an der Berliner Afrikakonferenz (auch als Kongokonferenz bekannt) teilnahmen, ist in den historischen Darstellungen zumeist eine skurrile Randnotiz. Peter Duignan, einer der wenigen Historiker, die sich mit der Rolle der Amerikaner auf der Kongokonferenz beschäftigt haben, schrieb die Erzählung von den isolationistischen Vereinigten Staaten fort, in denen sich kaum jemand für das Geschehen außerhalb des eigenen Landes interessiert habe. So wird die Teilnahme vom Ende her gedacht: Der heftige Widerstand aus der Demokratischen Partei, die schon die Tatsache, dass amerikanische Delegierte in Berlin mit am Konferenztisch saßen, als Verrat an den Prinzipien amerikanischer Außenpolitik ansah, führte dazu, dass die Schlussakte der Konferenz nie von Washington ratifiziert wurde.

Der Monroe-Doktrin zum Trotz

Nun gab es tatsächlich eine lange Tradition der Nichteinmischung in europäische Angelegenheiten, die von George Washington und Thomas Jefferson kultiviert und 1823 schließlich von James Monroe zur Doktrin erhoben wurde. Doch dürfen diese politischen Leitlinien nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Vereinigten Staaten seit dem Ende des Bürgerkrieges immer stärker mit der Welt verflochten und der Isolationismus auch politisch alles andere als unumstritten war. Vor allem die ökonomischen Krisenerfahrungen der Panik von 1873, als die auf industrielles Wachstum gepolte amerikanische Wirtschaft in eine tiefe Rezession fiel, ließen Stimmen laut werden, die Expansion forderten, um den Gefahren der Überproduktion zu entgehen. Diese fanden sich insbesondere in der Republikanischen Partei, wo man weniger Probleme mit einem aktiven Staat hatte als bei den Demokraten.

Reiseberichte aus Afrika füllten Zeitungsseiten wie Vortragssäle und präsentierten eine unberührte, aber auch feindselige Wildnis, einen Ort reichhaltiger Ressourcen und einen Schauplatz, an dem die moderne Zivilisation vor dem Triumph über Rückständigkeit und Barbarei stand. Dieser imperial gefärbte Blick wurde auch von den naturkundlichen und geographischen Gesellschaften gepflegt. Wie Karen Morin gezeigt hat, spielte die American Geographical Society nicht nur eine wichtige Rolle für die Expansion auf dem amerikanischen Kontinent. Sie wurde auch zu einem einflussreichen Befürworter der kommerziellen Öffnung Afrikas und verband wissenschaftliche mit ökonomischen Interessen.

Als der belgische Monarch Leopold II. Unterstützer für seinen Plan suchte, in Zentralafrika zum Kolonialherrscher zu werden, fiel sein Blick fast zwangsläufig auf die Vereinigten Staaten. Dass diese schließlich als erste Nation seine „Internationale Afrikanische Gesellschaft“ als souveränen Staat anerkannten, war gewiss, wie es Adam Hochschild in seinem Bestseller „Schatten über dem Kongo“ beschrieb, ein Glanzstück der Lobbyarbeit. Leopolds Vertrauter, der frühere amerikanische Gesandte in Brüssel Henry Shelton Sanford, überzeugte Politiker, Industrielle und Wissenschaftler vom enormen Potential, das der Kongo für Amerika bot: Ob gigantische Absatzmärkte für die Textilindustrie, die einen halben Kontinent einzukleiden hatte, im Überfluss vorhandene Rohstoffe wie Gold, Kupfer oder Elfenbein oder Land, auf dem die ehemaligen amerikanischen Sklaven angesiedelt werden könnten, um Amerika als weiße Demokratie erhalten zu können – für jeden Gesprächspartner hatte Sanford das passende Argument parat. Doch die amerikanische Unterstützung allein mit Sanfords Verführungskünsten zu erklären greift zu kurz.

Leopold II. galt als aufgeklärt

Ein Blick in die Tagespresse zeigt, dass schon seit den späten Sechzigerjahren für ein amerikanisches Engagement auf dem Kontinent geworben wurde. Während nach dem Bürgerkrieg zunächst die Umsiedlung der Afroamerikaner im Mittelpunkt stand, verschob sich der Fokus in den Siebzigerjahren auf das ökonomische Potential. Afrika werde wie eine Auster geöffnet, titelte der „Daily Herald“, während die „New York Times“ in Aussicht stellte, dass das Kongobecken in kürzester Zeit ein größeres Handelsvolumen als Indien bieten werde. Leopold II. sicherte für seinen zukünftigen „Kongo-Freistaat“ den Freihandel zu. So wurden die königlichen Kolonialbestrebungen im amerikanischen Diskurs zu einem höchst modernen Unterfangen, das nichts mit dem klassischen, auf Exklusivität bedachten Kolonialismus, wie ihn Portugal oder Frankreich praktiziert, gemein hatte: Leopold wurde als „aufgeklärter Fürst“ bezeichnet, angetrieben von philanthropischen Motiven und dem zivilisatorischen Fortschritt verpflichtet.

Mit dieser Überzeugung gingen die amerikanischen Delegierten in die Afrikakonferenz. John Kasson, der Gesandte der Vereinigten Staaten in Berlin, betonte, dass sein Land eine imperialistische Konkurrenzsituation im Kon­gobecken verhindern und stattdessen die Reichtümer der Region allen Nationen gleichermaßen zukommen lassen wolle. Deshalb hatte die amerikanische Regierung den Anspruch der „Internationalen Gesellschaft“ als neutraler Treuhänderin des Kongobeckens anerkannt. Unterstützt vom Entdecker-Journalisten Henry M. Stanley, der als technischer Berater der amerikanischen Delegation fungierte, gelang es Kasson, die anderen Konferenzteilnehmer davon zu überzeugen, die geplante Freihandelszone in Zentralafrika auszudehnen, sodass sie eine Verbindung zwischen dem Atlantischen und dem Indischen Ozean herstellte und ein deutlich größeres Gebiet als den zukünftigen Kongofreistaat umfasste.

Henry Shelton Sanford, ein Yankee aus Connecticut, begann seine diplomatische Karriere in Sankt Petersburg und war 1848 Sekretär der amerikanischen Gesandtschaft bei der provisorischen deutschen Reichsregierung in Frankfurt. Präsident Lincoln schickte ihn 1861 als Gesandten nach Belgien. Von 1878 an war er für König Leopold II. tätig, nach dem er seinen 1880 geborenen zweiten Sohn benannte.
Henry Shelton Sanford, ein Yankee aus Connecticut, begann seine diplomatische Karriere in Sankt Petersburg und war 1848 Sekretär der amerikanischen Gesandtschaft bei der provisorischen deutschen Reichsregierung in Frankfurt. Präsident Lincoln schickte ihn 1861 als Gesandten nach Belgien. Von 1878 an war er für König Leopold II. tätig, nach dem er seinen 1880 geborenen zweiten Sohn benannte.Library of Congress

Auch wenn die amerikanische Ratifikation der Schlussakte scheiterte, ist der Einfluss der Vereinigten Staaten auf die Konferenz und die anschließende Entstehung von Leopolds Kongofreistaat nicht zu unterschätzen. Die frühe Anerkennung der „Internationalen Gesellschaft“ und das Werben in Berlin verschafften Leopolds Anspruch Legitimität. Britische und französische Zei­tungen spekulierten darüber, ob die Vereinigten Staaten selbst zur Kolonialmacht im Inneren Afrikas werden wollten; das deutsche Auswärtige Amt führte eine Akte zu den amerikanischen Beziehungen zum Kongo.

Von der eigenen Propaganda verführt

Die Hoffnungen der Amerikaner auf blühenden Handel wurden freilich nicht erfüllt: Der Handelsagent Tisdel berichtete nach Washington, dass die Erzählungen von den im Kongo wartenden Reichtümern eine blanke Lüge waren. Nach einer erneuten Erkundungsmission, die den Marineoffizier Emory Taunt tiefer ins Landesinnere führte, konnte dieser zwar einen positiveren Bericht abfassen, doch zu einem aktiven amerikanischen Handel mit dem Kongofreistaat sollte es nicht kommen: Das Territorium des Freistaats wurde unter Konzessionsunternehmen, in denen Leopold meist der Hauptanteilseigner war, aufgeteilt, wobei das größte Landstück als Domaine de la Couronne direkt in den Privatbesitz des Königs wanderte. Das Versprechen des Freihandels war nichts weiter als ein Lockinstrument gewesen.

Als nach der Erfindung des Gummireifens durch John Dunlop im Jahre 1888 ein weltweiter Kautschukboom einsetzte, explodierten Leopolds Profite aus der Kolonie. Der Staat ging mit äußerster Brutalität vor, um die Bevölkerung zur Kautschukernte zu zwingen und die Förderquoten zu steigern. Von 1904 an prangerte die Congo Reform Association die Gräueltaten im Kongo an. Aus ihrem Beitrag zur Gründung des Kongofreistaats leiteten die Amerikaner nun auch eine besondere Verpflichtung ab, den Vorgängen in der Kolonie Einhalt zu gebieten.

Zur Abwehr des Einflusses der öffentlichen Meinung auf die Regierung in Washington holte Leopold II. amerikanisches Kapital in den Kongo: Größen der Geschäftswelt, unter ihnen Daniel Guggenheim, J. P. Morgan und John D. Rockefeller, gründeten die American Congo Company. Sie erhielten ein 10 000 Quadratkilometer großes Konzessionsgebiet und wurden Anteilseigner in Leopolds Kolonialunternehmen Forminière. Ihm nutzte das nichts mehr, der internationale Druck wurde zu groß. Um zu verhindern, dass die Signaturmächte der Kongoakte ihm seine Kolonie entzogen, verkaufte Leopold sie 1908 an den belgischen Staat. Für die amerikanischen Investoren erwies sich das Engagement im Kongo als äußerst lukrativ. Die neuen belgischen Machthaber garantierten die Rechte der Unternehmen, die große Diamantenabbaugebiete erschlossen hatten. Die Amerikaner wurden zentrale Akteuren in der kongolesischen Edel­stein­indus­trie und blieben es bis in die Zeit der Dekolonisierung.

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