Europas Strategie : Immer mehr Länder fühlen sich von Brüssel gegängelt
Auch die zweite Kommission von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hält an ihrer bisherigen Politik fest, die internationalen Wirtschaftsbeziehungen mit umfassenden Auflagen für die Partnerländer zu verbinden. Brüssel will im internationalen Handel in drei Bereichen Standards setzen: Die Fertigung bestimmter Produkte soll wenig oder keine CO2-Emissionen verursachen, Menschen in Entwicklungsländern sollen nicht ausgebeutet werden, und landwirtschaftliche Produkte sollen nicht von kürzlich abgeholzten Flächen stammen. Auch wenn die guten Absichten der politischen Entscheidungsträger offensichtlich sind, werden die Auswirkungen der drei Maßnahmen die Bedeutung der Europäischen Union in den internationalen Wirtschaftsbeziehungen verringern.
Damit läuft die EU Gefahr, sich zu isolieren, indem sie immer höhere Anforderungen an den Handel mit Waren und Dienstleistungen stellt. Dabei sind die im geopolitischen Konflikt zunehmend umworbenen Volkswirtschaften Afrikas, Asiens und Lateinamerikas in abnehmendem Maß auf die Volkswirtschaften der EU angewiesen. Vielmehr können sie ihre Wirtschaftsbeziehungen zu Donald Trumps USA, aber auch zu China und seinen Verbündeten ausbauen.
Von 2003 bis 2023 ist der Anteil der EU an den weltweiten Güterexporten von 19,0 auf 14,8 Prozent und der Anteil an den Warenimporten von 17,9 auf 14,2 Prozent gesunken. Das wirtschaftlich florierende Amerika könnte in der zweiten Präsidentschaft Trumps trotz dessen protektionistischer Rhetorik als Markt an Bedeutung gewinnen, weil der Regierung ein starker Anstieg der Inflation infolge höherer Importpreise ungelegen käme. Trumps Handelspolitik könnte daher pragmatischer ausfallen als zunächst erwartet und einigen Entwicklungs- und Schwellenländern neue Exportchancen eröffnen.
Der Klimazoll
Zunächst klingen die Vorschläge der EU logisch. In Europa müssen die Hersteller von Aluminium, Düngemitteln, Strom, Wasserstoff und Stahl am EU-Emissionshandelssystem teilnehmen und erhebliche Beträge für Kohlenstoffemissionen zahlen. Um zu verhindern, dass Produkte aus dem Rest der Welt in die EU importiert werden und die Wettbewerbsposition der europäischen Hersteller schwächen, wurde der CO2-Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism, CBAM) entwickelt. Ausländische Hersteller von etwa konventionell hergestelltem Aluminium müssen einen Einfuhrzoll entrichten, der hoch genug ist, um europäische Hersteller zu schützen. Als Nebeneffekt macht CBAM die Rückverlagerung von Industrieproduktion nach Europa attraktiver.
Einige Handelspartner der EU üben scharfe Kritik an der Politik der EU. Der indische Industrieminister Piyush Goyal bezeichnete CBAM als eine „schlecht durchdachte“ Steuer. Goyal nannte die Grenzsteuer ein Beispiel für „Voreingenommenheit, Diskriminierung und Ungerechtigkeit“. Nicht nur in Indien, sondern auch im krisengeschüttelten Nachbarland Bangladesch kann die Kombination aus CBAM und der EU-Lieferkettenrichtlinie das Wirtschaftswachstum erheblich dämpfen.
Die Nachhaltigkeitsrichtlinie für Unternehmen
Eine ähnlich negative Wirkung ist von der EU-Richtlinie über die unternehmerische Sorgfaltspflicht im Bereich der Nachhaltigkeit (Corporate Due Diligence Directive, CSDDD) zu erwarten, die eine Haftung für in der EU ansässige Unternehmen bei Abweichungen von Umweltstandards und Menschenrechtsverletzungen, einschließlich arbeitsrechtlicher Fragen, innerhalb ihrer Lieferketten vorsieht. Die CSDDD deckt alle Aktivitäten entlang der Lieferkette eines Unternehmens ab.
Die gemeinhin als „EU-Lieferkettengesetz“ bekannte Richtlinie verpflichtet Unternehmen dazu, nachteilige Auswirkungen der Produktion auf die Menschenrechte und die Umwelt zu ermitteln, zu verhindern und abzumildern. Von Bedeutung ist, dass die Betroffenen bei Verstößen gegen die CSDDD das betroffene Unternehmen verklagen und Schadenersatz fordern können. Die künftigen Auswirkungen der CSDDD sind offensichtlich. In erster Linie werden Anwälte und Berater davon profitieren. Zudem werden Unternehmen ihre Lieferketten überprüfen und sich fragen, ob sie ihre Tätigkeiten nicht in andere Länder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-operation and Development, OECD) verlagern sollten, wo das Risiko von Verstößen geringer ist.
Die Entwaldungsrichtlinie
Auch das dritte Element der EU-Außenwirtschaftsstrategie, die Entwaldungsrichtlinie, wird in den Partnerländern der EU kritisch gesehen. Zwar wurde das Inkrafttreten der Richtlinie nach Protesten etwa in Indonesien und Malaysia – die unter anderem mit dem Boykott des Kaufs von Flugzeugen des europäischen Herstellers Airbus drohten – auf Ende des Jahres 2025 verschoben. Verändert aber wurde der Kern der Regulierung nicht. Hersteller von landwirtschaftlichen Produkten, etwa Palmöl, werden künftig nachweisen müssen, dass zur Erzeugung des jeweiligen Produktes kein Wald gerodet wurde.
Die belehrende Europäische Union
Die Europäische Kommission und das Europäische Parlament verfolgen eine Politik der Belehrung gegenüber den Handelspartnern. Ist dieser Ansatz im Zeitalter geopolitischer Spannungen angemessen, oder sollte die EU auf die Präferenzen der Partnerländer Rücksicht nehmen? Wird die umwelt- und sozialpolitische Auflagenpolitik der Europäer als neokoloniale Politik wahrgenommen? Und warum hat niemand in Brüssel Bedenken gegen die potentiell schädliche Politik der EU geäußert?
Aus der Sicht vieler Entwicklungsländer stellen diese Forderungen der EU einen massiven Eingriff in die Wirtschaftspolitik ihrer Länder dar. Brüssel hat ohne Mandat die Rolle der Hüterin der Menschenrechte übernommen und zeigt sich verantwortlich für die Umwelt-, Sozial- und Klimapolitik in außereuropäischen Gesellschaften. Den Entwicklungsländern und ihren Regierungen wird die Fähigkeit abgesprochen, im Interesse ihrer eigenen Bevölkerung zu handeln. Viele Regierungen außereuropäischer Länder empfinden diese Politik als anmaßend und als massive Verschlechterung ihrer Wettbewerbsposition durch Brüssel.
Die EU-Kommission übersieht nicht nur eine wesentliche Erkenntnis der Entwicklungspolitik der vergangenen Jahrzehnte: Allein eigenverantwortliche Entwicklungsstrategien, im Englischen als „ownership“ bezeichnet, führen zu nachhaltigem wirtschaftlichem Wachstum. Brüssel überschätzt auch die ökonomische Bedeutung des an chronischer Wachstumsschwäche leidenden Europas.