TV-Kritik Maischberger : „Herr Merz hat das Ganze angerichtet“
Als Bundeskanzler Olaf Scholz am Mittwochabend zu Gast in der ARD-Talkshow von Sandra Maischberger auftrat, ließ er keinen Zweifel daran, dass dieser Tag, der 29. Januar 2025, und das, was sich wenige Stunden zuvor im Bundestag abgespielt hatte, für ihn eine historische Zäsur bedeutete. Der Bundestag hatte, ausgerechnet nach einer parlamentarischen Gedenkstunde für die Opfer des Nationalsozialismus, mit bewegenden Worten des Holocaustüberlebenden Roman Schwarzman, und einer sich anschließenden heftigen Debatte, mit den Stimmen der AfD einem Antrag von CDU und CSU zugestimmt, der eine Verschärfung der Asylpolitik forderte.
Und Scholz nahm seinen Auftritt am Abend zum Anlass, dem CDU-Chef und Kanzlerkandidaten Friedrich Merz für sein Vorgehen, die Mehrheitsbildung mit der extremen Rechten bewusst in Kauf genommen zu haben, sein Vertrauen zu entziehen, es ihm öffentlich abzusprechen. Merz hätte, so Scholz, im Vorfeld mit den anderen verhandeln, das Gespräch suchen können. Er habe aber diesen in Teilen rechtswidrigen Vorschlag gemacht, dem man dann habe zustimmen können oder nicht.
Merz’ Aussage – „Eine richtige Entscheidung wird nicht dadurch falsch, dass die Falschen zustimmen“ – wurde dabei zum Angelpunkt der Kritik des Bundeskanzlers. Auf die Frage der Moderatorin, ob er dem Kanzlerkandidaten der CDU nach der Bundestagswahl eine Koalition der AfD zutraue, sagte Scholz: „Wer sagt, es ist egal, wer meinen Anträgen zustimmt, der sagt am Ende auch, es ist mir egal, von wem ich meine Stimmen bekomme. Deshalb kann ich ihm nicht mehr trauen, was ich bis letzte Woche getan habe.“ Scholz warf Merz einen „Tabubruch“ vor. Indem er alles anders mache als Merkel, Kohl und Adenauer, verlasse die CDU mit Merz nun das Prinzip einer Europapartei.
Ob er glaube, dass die AfD schwächer werde, wenn er und Merz sich im Bundestag gegenseitig so angingen, wollte Maischberger wissen. „Die Bürgerinnen und Bürger werden entscheiden, wer wie viele Stimmen bekommt“, so Scholz, und natürlich spiele es eine Rolle, ob man hinterher eine schwarz-blaue Koalition fürchten müsse. Merz habe ja aber doch ausgeschlossen, mit der AfD zu koalieren, wandte Maischberger ein. „Das ist ein sehr ernstes Thema“, sagte Scholz. Angesichts der vorhergehenden Ankündigung, exakt nicht das zu tun, was jetzt passiert sei, könne man nicht darauf vertrauen, dass das, was jetzt angekündigt wurde, dann gelte. Er verwies auf Österreich, wo die FPÖ mit Kickl, getragen von der konservativen ÖVP, nun einen Kanzler stellen wird, obwohl es bis vor Kurzem noch hieß: niemals mit der FPÖ.
„Herr Scholz, ich weiß, Sie sind schlauer als alle anderen“
Einen schnellen und konzentrierten Schlagabtausch lieferten sich der Kanzler und die Moderatorin. Wo diese seine Warnung vor Schwarz-Blau als bloße Wahlkampfrhetorik entlarven wollte, konterte er mit dem Bewusstsein von einer „ernsten Gefahr“. Wo sie sich über seine Überlegenheitsgesten lustig machte („Herr Scholz, ich weiß, Sie sind schlauer als alle anderen“), blieb er beim Thema. Wo sie auf gekürzte Mittel beim überlasteten Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hinwies, kam Scholz mit der Schuldenbremse und zeigte mit dem Finger – eine, wo es ums Geld ging, im Gespräch fast rituelle Geste – auf Christian Lindner.
Wenn die AfD so gefährlich sei, wie er sie jetzt beschreibe, so Sandra Maischberger, warum unterstütze er dann nicht den Verbotsantrag gegen die Partei, der am heutigen Donnerstag im Bundestag beraten werde? „Wir müssen“, so der Bundeskanzler, „wenn es um das Verbot von Parteien geht, ein geordnetes Verfahren haben.“ Eine Partei zu verbieten sei sehr, sehr schwierig. „Wir sind in einem Rechtsstaat, und auch Leute, die man völlig ablehnt, müssen darauf setzen können, dass der Rechtsstaat immer gilt.“
Am morgigen Freitag wird im Bundestag über das sogenannte Zustrombegrenzungsgesetz der CDU/CSU-Fraktion abgestimmt. Er, Scholz, werde also nicht zustimmen, wollte Maischberger noch mal wissen. „Herr Merz hat im Prinzip das Ganze angerichtet“, sagte Olaf Scholz. Er könne es ganz einfach wieder beseitigen, indem er den Antrag zurückziehe. Dann könne man darüber reden, ob man eine verfassungskonforme Lösung finde.
Wohltuend ernst war dieses Gespräch, ein hartnäckiger Austausch von Argumenten. Dass am Ende noch ein heiterer Tony Blair interviewt wurde, der gerade ein Buch über „Leadership“ und die Kunst der Führung veröffentlicht hat, passte dann gar nicht dazu. Auf die Frage, ob er den Deutschen von Großbritannien aus empfehlen könne, wie die AfD es hierzulande empfehle, aus der EU auszutreten, hatte Blair aber eine kurze Antwort: „No.“