Alno-Prozess : Küchenchef vor Gericht
Die Stimme hat immer wieder einen brüchigen Klang, manchmal beginnt Max Müller einen Satz, verhaspelt sich und muss neu ansetzen. Doch so unsicher der 78 Jahre alte Schweizer am Montag vor dem Landgericht Stuttgart wirkt, so sicher ist er sich in der Sache, die er deutlich machen will. „Ich bin der festen Überzeugung, dass ich als Vorstandsvorsitzender der Alno AG zu keinem Zeitpunkt gegen geltendes Recht verstoßen habe“, sagt der frühere Chef des einst größten deutschen Küchenherstellers, der zu Spitzenzeiten mit fast 3000 Mitarbeitern einen Umsatz von rund 650 Millionen Euro erwirtschafte.
„Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft weise ich entschieden zurück.“ Die Staatsanwaltschaft hat Müller gemeinsam mit der früheren Alno-Finanzchefin Ipek Demirtas angeklagt, um den Untergang des 2017 in die Insolvenz gegangenen Unternehmens aufzuklären. Der Vorwurf: vorsätzliche Insolvenzverschleppung, Kreditbetrug, Bankrott und Untreue.
In den Jahren vor der Pleite haben Müller und Demirtas die maßgeblichen Entscheidungen bei dem Unternehmen getroffen, das seit dem Börsengang 1995 nur in fünf Jahren keinen Verlust geschrieben hat. Als sich die Situation im Frühjahr 2016 zuspitzte, verhandelten die Angeklagten mit der bosnischen Unternehmerfamilie Hastor über eine Beteiligung, um Alno zu stabilisieren. Mit dem Investor, der wenig später weltbekannt werden sollte, weil er mit seinem Zulieferer Prevent die Produktion von Volkswagen lahmlegte, überwarf sich Müller jedoch schon kurze Zeit später.
Aufgewachsen in armen Verhältnissen
Dabei hat Max Müller nie den Wunsch gehabt, das Krisenunternehmen aus dem badischen Pfullendorf zu führen, wie er am Montag vor Gericht erzählt. Aufgewachsen in armen Verhältnissen, der Vater war Hilfsarbeiter in einer Gießerei, die Mutter Putzfrau, habe Müller schon als Kind den „Wunsch nach Unabhängigkeit“ verspürt und das Elternhaus im schweizerischen Ramsen nahe dem Bodensee gen Basel im Alter von 16 Jahren verlassen. Einer kaufmännischen Lehre folgten weitere Schulbesuche, die Müller mit Hilfsarbeiten finanzierte. „Durch meinen Fleiß und meinen Ehrgeiz wie dem Bedürfnis, auf eigenen Füßen zu stehen, habe ich in verschiedenen Unternehmen nach und nach immer mehr Verantwortung erhalten“, sagt der Schweizer.
Mitte der achtziger-Jahre führte er für den Metro-Vorgänger Asko Deutsche Kaufhaus AG das Osteuropageschäft, übernahm dann 1985 den Vorstandsvorsitz der Asko-Tochter Comco und zwei Jahre später den Chefposten der Adler-Bekleidungswerke, die auch zu dem Handelskonzern gehörten. Als das Asko-Nachfolge-Unternehmen Metro 1992 umstrukturierte wurde, schied Müller aus, übernahm in einem Management-Buyout das Unternehmen Comco – und entwickelte das Geschäftsmodell, das ihn schließlich im Jahr 2011 auf den Chefposten von Alno bringen sollte. „Ziel war es, mein großes Netzwerk mit potentiellen Investoren und institutionellen Anlegern sowie Banken weiter auszubauen und als Dienstleister für Finanzierungen tätig zu sein“, erklärt Müller.
Im Jahr 2010 befand sich die Alno AG wieder einmal in einer extremen Notlage. Eine Kapitalerhöhung war abermals gescheitert, aber Müllers Vorgänger als Vorstandschef, Jörg Deisel, brauchte Geld für sein Sanierungskonzept „Alno 2013“. Der vom Aufsichtsrat genehmigte und von der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PWC erarbeitete Plan sah Abfindungen und eine Straffung der Produktion vor.
Müllers Netzwerk rettet Alno
Anfang 2011 spitzte sich die Lage zu. Zu einem negativen Eigenkapital kamen hohe Zahlungsrückstände. Ein Aufsichtsrat stellte den Kontakt zu Müller her, und nach einer Kapitalerhöhung flossen dem trudelnden Unternehmen 26,1 Millionen Euro zu, wovon über Müllers Comco-Netzwerk rund 15 Millionen Euro zusammenkamen. Ausgemacht sei gewesen, dass Müller in den Aufsichtsrat einziehe, um die Interessen der von ihm angesprochenen Investoren zu repräsentieren.
Nachdem Müller allerdings kurz nach der Kapitalerhöhung erfahren habe, dass wichtige Manager „wegen des despotischen Führungsstils“ von Vorstandschef Deisel das Unternehmen zu verlassen drohten, habe er mit dem Aufsichtsrat gesprochen, der Deisel entließ und Müller selbst „mangels Alternativen“ zum Vorstandschef bestellte. „Dies war niemals mein Wunsch, aber ich war dies meinen Investoren und meinem Netzwerk schuldig, um sicherzustellen, dass die Alno AG nicht in Schwierigkeiten kommt“, erläutert Müller vor dem Landgericht.
Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft nennt Müller unzutreffend und unbegründet. „Die Alno AG war im gesamten Zeitraum bis Mitte 2017 nicht insolvent“, sagt der Schweizer mit Verweis auf ein von Müller und Demirtas in Auftrag gegebenes Gutachten der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Aderhold. Eine kritische Situation sei erst eingetreten, nachdem der bosnische Investor die Buchhaltung nach Bosnien verlagert und die Werke auf die in der Autoindustrie übliche Just-in-time-Produktion umgestellt habe. Auch den Kreditbetrug zu Lasten der Hastors habe es nie gegeben, weil „ich nie einen Kredit beantragt habe“.
Staatsanwaltschaft habe ein unzutreffendes Bild gezeichnet
Er sei der Alno AG vielmehr von den bosnischen Unternehmerfamilie aufgezwungen worden, um möglichst schnell die Kontrolle über das Unternehmen zu erlangen. Mit Blick auf die Vorwürfe der Untreue greift Müller die Staatsanwaltschaft an, die ein Bild gezeichnet habe, dass der Aufsichtsrat verschiedene Bonuszahlungen und Risikoprämien zu Gunsten Müllers auf dessen Veranlassung genehmigt habe. „Ich finde es unglaublich, dass die Staatsanwaltschaft, die Aufsichtsräte als Marionetten von mir hinstellt“, sagt Müller. „Diese gestandenen Persönlichkeiten hätten sich derartiges selbstverständlich verboten und mich in die Wüste geschickt.“
So aggressiv die Worte, so belegt die Stimme, die sie aussprechen. Als Müller auf seine wirtschaftliche Situation zu sprechen kommt, ringt der Unternehmer mit den Tränen und hält immer wieder inne. „Ich habe mich nie bereichert. Im Gegenteil, ich habe durch die Insolvenz den größten Teil meines Vermögens verloren“, schließt der frühere Chef von Alno. „Und in der Anklage der Staatsanwaltschaft gibt es nicht den kleinsten Hinweis, dass ich auch zu etwas getaugt habe.“