EU AI Act :
Wie strenge Regulierung Europas Wettbewerbsfähigkeit gefährdet

Gastbeitrag
Von Peter Buxmann
Lesezeit: 4 Min.
Der EU AI Act soll als einheitliches Regelwerk die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen KI-Anwender stärken. Doch aktuell ist das Gegenteil der Fall: Schon die Nutzung einfacher KI-Werkzeuge wie des Microsoft Copiloten ist mit abschreckenden Auflagen verbunden.
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Der EU AI Act verfolgt das Ziel, KI zu regulieren. Dabei betont die Präsidentin der Europäischen Kommission Ursula von der Leyen, dass der AI Act die Wettbewerbsfähigkeit Europas in der Künstlichen Intelligenz erhöhen wird.

Das Verbot von KI-Anwendungen wie Social Scoring, Emotionserkennungen am Arbeitsplatz oder in Bildungseinrichtungen als Teil des AI Acts kann nur begrüßt werden, da sie im Widerspruch zu unseren europäischen Werten stehen. Vielleicht hätte man es aber bei diesen Verboten belassen sollen, denn das Regelwerks birgt – wie der französische Präsident Emmanuel Macron einmal sagte – auch die Gefahr, dass Europa durch zu restriktive Maßnahmen hinter seine internationalen Konkurrenten zurückfallen könnte.

Die Behauptung, dass der AI Act die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen verbessern wird, basiert auf dem Gedanken, dass das Gesetz das Vertrauen der Menschen in KI erhöhen und damit mittelbar zu einem Wettbewerbsvorteil für die europäische Wirtschaft wird. Diese Argumentation fand sich auch nahezu in allen Reden der Politikerinnen und Politiker beim kürzlich stattgefundenen Digitalgipfel in Frankfurt wieder.

Ein kritischer Blick in die Praxis zeigt aber: Wunsch und Wirklichkeit passen nicht zusammen.

Wettbewerbsfähigkeit: Die Anbietersicht

Schauen wir uns die Situation in der generativen Künstlichen Intelligenz (GenAI) an. Sie basieren auf Sprachmodellen amerikanischer Anbieter wie Open AI/Microsoft, Google oder Meta, die Milliardenbeträge in die Entwicklungen investieren und im Vergleich der Leistungsfähigkeit alle vorderen Plätze belegen.

In der Chatbot-Arena werden die aktuell leistungsfähigsten Sprachmodelle weltweit miteinander verglichen.

Screenshot Chatbot-Arena

Die Abbildung zeigt, dass zurzeit ausschließlich US-amerikanische Anbieter in den Top 10 vertreten sind. Manchmal schafft es auch das chinesische Start-up 01.ai mit dem Sprachmodell Yi-Large auf einen der Spitzenplätze. Europäische Anbieter sind lediglich durch das französische Mistral AI im Mittelfeld vertreten. Die deutsche KI-Hoffnung Aleph Alpha hat die Entwicklung eines eigenen Sprachmodells eingestellt, da es nicht konkurrenzfähig war.

Ein weit verbreiteter Irrtum in Europa besteht übrigens darin, dass die europäischen Anbieter den amerikanischen Unternehmen im Hinblick auf Daten-, Verbraucherschutz oder Transparenz überlegen seien. Studien zeigen, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Im Vergleich mit China ist das allerdings anders.

Wettbewerbsfähigkeit: Die Anwendersicht

Die Nutzung der generativen KI in Unternehmen verspricht zahlreiche betriebswirtschaftliche Vorteile wie etwa Produktivitätszuwächse, die von vielen Untersuchungen bestätigt werden. Besteht hier Hoffnung für europäische Unternehmen, eine führende Rolle im weltweiten Wettbewerb einzunehmen? Stellen wir uns ein kleines mittelständisches Unternehmen (KMU) vor, das GenAI nutzen möchte, um seinen Beschäftigten die Möglichkeit zu geben, KI-basiert E-Mails, Texte, Übersetzungen, Powerpoint-Präsentationen oder Protokolle zu generieren. Es handelt sich um Anwendungen, die sicherlich nicht zum „Hochrisikobereich“ des AI Act gehören. Darf dieses KMU nun einfach ein paar Softwarelizenzen von Open AI/Microsoft oder Google kaufen und die GenAI einsetzen? Leider nicht, denn hier gibt es einen ersten Fallstrick. Gemäß AI Act wird jedes Unternehmen, das diese einfachste Form der KI nutzt, zum Betreiber. Wer das kontraintuitiv findet, liegt absolut richtig. Eine Konsequenz ist, dass Unternehmen zu Schulungsmaßnahmen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und zum Aufbau von KI-Kompetenz verpflichtet werden. Der Umfang dieser Schulungsnotwendigkeiten ist heute noch nicht eindeutig geklärt. Bei höheren Risikostufen sind weitergehende Maßnahmen, wie etwa die Einrichtung einer menschlichen Aufsicht erforderlich.

Als Folge werden sicherlich viele Unternehmen von einer frühzeitigen KI-Nutzung Abstand nehmen und die Investitionen bestenfalls verschieben. Eine aktuelle Bitkom-Studie zeigt, dass Unternehmen künftige rechtliche Einschränkungen und Anforderungen des Datenschutzes als die größte Hürden beim Einsatz von GenAI ansehen. Ein Wettbewerbsvorteil ist auch für die europäischen KMUs als Anwender also nicht in Sicht.

Ein Plädoyer für einen pragmatischen Umgang mit dem EU AI Act

Ein Vergleich mit den Auswirkungen der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen drängt sich auf. Auch die DSGVO verfolgt aus gesellschaftlicher Sicht ein lohnenswertes Ziel – den Schutz der Bürger vor einer Verletzung ihrer Privatsphäre. Das Narrativ der Politik war damals ähnlich wie beim EU AI Act heute: Die DSGVO soll für mehr Vertrauen der Menschen in digitale Anwendungen sorgen und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen erhöhen. Schauen wir uns aber die Anbietersituation in Bereichen wie Cybersicherheit oder Privatsphäre an, so beobachten wir eine ähnliche Konstellation wie in der KI. Führend sind insbesondere Unternehmen aus den USA und auch Israel. Europäische Anbieter spielen keine führende Rolle.

Der AI Act ist verabschiedet. Was können Politik und Wirtschaft also tun, um den drohenden Verlust der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft zu verhindern? Sinnvoll ist ein pragmatischer Umgang mit dem AI Act, um den Unternehmen nicht nur die Angst vor KI selbst, sondern auch vor regulatorischen Folgen und zu viel Bürokratie als Folge des KI-Einsatzes zu nehmen. Betrachten wir beispielhaft das oben angeführte KMU, das GenAI für die Unterstützung bei der Erstellung von Texten, Präsentationen, Protokollen et cetera nutzen möchte und dadurch zum „Betreiber“ wird. Lassen wir doch die Kirche im Dorf, wenn es um die Verpflichtungen für Schulungen, der Benennung einer menschlichen Aufsicht et cetera geht. Statt eines mehrtätigen Programms reicht sicherlich auch eine kurze Schulung oder ein Vortrag, um über die Chancen und Risiken der KI-Nutzung aufzuklären.

KI ist für die Wirtschaft eine Jahrhundertchance, und wir sollten uns nichts vormachen: Auf der Anbieterseite werden es europäische Hersteller sehr schwer haben, den mittlerweile großen Vorsprung der Amerikaner aufzuholen. Firmen wie Google forschen seit der Jahrtausendwende intensiv am Thema Natural Language Processing. Dort wurde auch das Transformer-Modell entwickelt, das eine wesentliche Grundlage der Sprachmodelle von heute ist. Aber für Anwender bieten sich verschiedene Formen der KI-Nutzung an, die Chancen für Produktivitätserhöhungen, neue Geschäftsmodelle und damit Wettbewerbsvorteile bieten. Ein Gesetz wie das AI Act bewegt sich immer in einem Spannungsfeld zwischen Innovation einerseits sowie Regulierung und Kontrolle andererseits. Aber nur mit einem pragmatischen Ansatz kann Europa sein Potential ausschöpfen und gleichzeitig den technologischen Fortschritt mit den Werten unserer Gesellschaft in Einklang bringen.

Professor Dr. Peter Buxmann
Peter Buxmann lehrt Wirtschaftsinformatik an der Technischen Universität Darmstadt und ist als Aufsichtsrat, Senior Advisor, Podcaster und Gründer tätig. Seine Forschungsschwerpunkte sind Anwendungen der Künstlichen Intelligenz, die Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft sowie die Zukunft der Digitalen Arbeit.
Bild: Privat
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