Einigung in Nahost : Wie stehen die Chancen, dass die Waffenruhe hält?
Israel und die Hamas haben sich auf eine Vereinbarung geeinigt, die zum Ende des Kriegs im Gazastreifen und zur Freilassung der Geiseln sowie palästinensischer Häftlinge führen soll. Qatars Ministerpräsident Muhammad Bin Abdulrahman Al Thani verkündete die Einigung am Mittwochabend auf einer Pressekonferenz in Doha. Zuvor hatten die Vermittler in Qatars Hauptstadt „letzte kleine Details“ zwischen den Kriegsparteien geklärt. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Gaza-Deal.
Was steht konkret im Gaza-Deal?
Von Sonntag an soll im Gazastreifen eine Waffenruhe herrschen. Es wäre das erste Mal seit mehr als 13 Monaten, dass die Waffen schweigen. Am Morgen des 1. Dezember 2023 war die erste und bislang einzige Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas im Gazakrieg zusammengebrochen. Gleichzeitig soll mit der Freilassung der Geiseln begonnen werden. 98 Geiseln sind laut offiziellen israelischen Angaben im Gazastreifen verblieben, wobei nur noch etwa die Hälfte von ihnen am Leben sein dürfte. Die Vereinbarung sieht vor, dass sie schrittweise freigelassen werden: Drei am ersten Tag der Waffenruhe, vier weitere am siebten Tag und dann jede Woche weitere. Insgesamt sollen während der sechswöchigen ersten Phase der Waffenruhe 33 Geiseln freigelassen werden. Dabei handelt es sich nur um Frauen (auch Soldatinnen), Männer im Alter von mehr als 50 Jahren sowie Kranke und Verwundete. Männer im wehrfähigen Alter sollen erst während der zweiten Phase freigelassen werden.
Einhergehend mit der Freilassung der Geiseln in der ersten Phase soll Israel palästinensische Häftlinge entlassen: 30 für jede lebende Geisel und sogar 50 für jede Soldatin. Die genaue Gesamtzahl ist noch unklar, da am Mittwochabend noch nicht bekannt war, wie viele der 33 Geiseln bei ihrer Freilassung noch am Leben sein werden. In der ersten Phase des Deals sollen auch mehr Hilfsgüter in den Gazastreifen gelangen: 600 Lastwagenladungen pro Tag. Israel hatte die Versorgung des Kriegsgebiets nach dem 7. Oktober 2023 stark beschränkt.
Schließlich soll die israelische Armee umgehend mit dem Abzug aus dem Gazastreifen beginnen. In der ersten Phase soll sie sich schrittweise auf eine Pufferzone am Rande des Küstenstreifens zurückziehen, die etwa einen Kilometer breit ist. Die Details des Abzugs waren bis zuletzt offenbar stark umstritten. Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete am Mittwochabend, Israel werde seine Truppen schrittweise auch aus dem Phidadelphi-Korridor abziehen, der Grenze zwischen dem Gazastreifen und Ägypten. Das Büro von Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte demgegenüber kurz zuvor verkündet, dank Netanjahus Beharrlichkeit habe die Hamas Forderungen aus letzter Minute aufgegeben, die Bestimmungen hinsichtlich der Stationierung israelischer Truppen im Philadelphi-Korridor zu verändern.
Was sieht die Vereinbarung langfristig für den Gazastreifen vor?
Während die Bestimmungen zur ersten Phase sehr detailliert sind, ist vergleichsweise unklar, wie die weiteren Phasen aussehen. Vom 16. Tag der Waffenruhe an soll über die zweite Phase verhandelt werden. In dieser ebenfalls sechswöchigen Phase sollen die verbliebenen lebenden Geiseln sowie weitere palästinensische Häftlinge freigelassen werden, während eine dauerhafte Waffenruhe verkündet wird. Die israelische Armee soll sich gänzlich aus dem Gazastreifen zurückziehen.
In der dritten Phase sollen die Leichen verbliebener Geiseln im Austausch für die Leichen getöteter Palästinenser übergeben werden. Ein Wiederaufbauplan für den Gazastreifen soll umgesetzt werden, und die Grenzübergänge zu dem Gebiet sollen geöffnet werden. Unklar bleibt laut den bislang veröffentlichten Zusammenfassungen der Vereinbarung, wer künftig im Gazastreifen regieren soll.
Wie stehen die Chancen, dass die Waffenruhe hält?
Der Übergang von der ersten zur zweiten Phase gilt als einer der heiklen Punkte des Abkommens. Denn Netanjahu hatte es bislang abgelehnt, sich zu einer dauerhaften Waffenruhe zu verpflichten – das war aber eine Kernforderung der Hamas gewesen. Die Islamisten hatten wiederum bis dato gefordert, dass der Abzug der israelischen Armee schon am Beginn einer Vereinbarung stehen müsse.
Somit besteht die Gefahr, dass das Abkommen wie die erste Waffenruhe nach einer gewissen Zeit zusammenbricht. Bewaffnete palästinensische Gruppen im Gazastreifen – Splittergruppen oder einzelne Kämpfer der Hamas oder unabhängige Gruppen – könnten sich nicht an die Vereinbarung gebunden fühlen. Auf der anderen Seite steht Netanjahu unter dem Druck eines Teils seiner Regierungskoalition, die ein Ende des Krieges ablehnt. Er selbst hatte bei vergangenen Gelegenheiten immer wieder gesagt, dass er am Kriegsziel festhalte, die Hamas militärisch gänzlich zu zerschlagen. Einige Geiselangehörige haben die Vereinbarung aus diesem Grund kritisiert. Sie glauben, dass die Waffenruhe nicht halten wird, und fürchten um das Leben derjenigen Geiseln, die nicht in der ersten Phase des Deals freigelassen.
Warum haben Israel und die Hamas sich gerade jetzt auf ein Abkommen geeinigt?
Seit dem Zusammenbruch der ersten Waffenruhe Ende 2023 haben Vermittler darum gerungen, eine Neuauflage zustandezubringen. Immer wieder scheiterten die Verhandlungen jedoch. Viele schreiben jetzt Donald Trump eine Rolle zu. Der künftige amerikanische Präsident hat seit seinem Wahlsieg im November mehrmals gedroht, dass „die Hölle losbrechen“ werde, sollte es bis zu seinem Amtsantritt am 20. Januar keine Einigung geben.
Während viele Beobachter davon ausgingen, Trump werde sich eng an die Linie Netanjahus anlehnen, hat sein Nahostgesandter Steve Witkoff offenbar zuletzt auch starken Druck auf Israels Ministerpräsidenten ausgeübt, dem in Qatar ausgehandelten Entwurf zuzustimmen.
Trump schrieb am Mittwochabend auf seiner Plattform Truth Social, die „historische“ Vereinbarung sei nur durch seinen Sieg in der Präsidentenwahl möglich geworden. Aber auch der scheidende Präsident Joe Biden nimmt für sich in Anspruch, großen Anteil am Zustandekommen des Deals zu haben. Er habe die nun ausgehandelte Vereinbarung schon im Mai 2024 in Grundzügen vorgelegt, sagte er in einer Erklärung. Seither habe er unablässig weiter daran gearbeitet, dass sie zustandekomme. Biden wies aber auch auf die veränderte regionale Lage hin: Die Schwächung der Hizbullah und Irans habe den Druck auf die Hamas verstärkt, einem Abkommen zuzustimmen.
Welche Auswirkungen auf die Region wird das Abkommen haben?
Ein Ende des Gazakriegs könnte zu einer weiteren Beruhigung der Lage in der Region führen. Israel hat seit dem Sommer bereits eine Reihe militärischer Erfolge gegen die Hizbullah in Libanon und gegen Iran erzielt. Das Land wird aber weiter von Feinden attackiert, zuletzt vor allem den jemenitischen Huthi, die immer wieder Raketen auf Tel Aviv und das Zentrum Israels abfeuern. Die Miliz begründet das mit dem Gazakrieg.
Langfristig ist ein Ende des Gazakriegs auch die Voraussetzung für mögliche weitere Friedensabkommen zwischen Israel und arabischen Ländern. Trump hat am Mittwochabend schon angekündigt, dass er die Dynamik der Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas nutzen wolle, um weitere sogenannte Abraham-Abkommen zu erreichen. An erster Stelle steht aus amerikanischer und israelischer Sicht ein Friedensabkommen mit Saudi-Arabien. Die Führung in Riad hat zuletzt aber immer wieder deutlich gemacht, dass sie zu diesem Schritt nur bereit ist, wenn es eine glaubwürdige Aussicht auf einen palästinensischen Staat gibt. Dies hat Netanjahu bislang jedoch strikt abgelehnt.