Rückführung von Afghanen : Worüber Österreich mit den Taliban spricht
Österreich hat eine Delegation von Beamten in die afghanische Hauptstadt Kabul entsandt, um über die Rückführung abgelehnter Asylbewerber zu sprechen. Afghanistan ist das Herkunftsland mit der zweitgrößten Zahl an Asylbewerbern in Österreich; seit 2015 sind mehr als 100.000 gekommen. Die Mehrheit der rechtskräftigen Entscheidungen fiel zuletzt ablehnend aus. Doch ist die Rückführung seit der Machtübernahme der Taliban im Jahr 2021 praktisch unmöglich, da es keine offiziellen Kontakte gibt.
Die österreichische Regierung bestätigte auf Anfrage der F.A.Z. die Gespräche, die bis Mittwoch in Kabul geführt wurden. Ein Sprecher des Innenministeriums in Wien wies darauf hin, dass sie „ausschließlich technisch-operativen Charakter“ gehabt hätten. „Es gibt keine diplomatische oder politische Dimension.“
Innenminister Gerhard Karner ist die Sache offenkundig politisch wichtig. „Österreich hat sich in der Europäischen Union als einer der ersten Staaten dafür ausgesprochen, Abschiebungen Richtung Afghanistan wieder möglich zu machen und aufzunehmen“, sagte er. Mittlerweile gebe es zahlreiche Mitgliedstaaten, die dieses Vorgehen unterstützten. „Uns geht es darum, vor allem straffällig gewordene Afghanen wieder in ihr Heimatland zurückzubringen und damit auch ein wichtiges Signal an alle auszusenden, die sich nicht an die Regeln halten.“
ÖVP und FPÖ führen gerade Koalitionsgespräche
Die christdemokratische Volkspartei (ÖVP), der Karner angehört, führt derzeit mit der rechten Freiheitlichen Partei Koalitionsverhandlungen. Auch die FPÖ beansprucht das Innenministerium. Beim Thema Abschiebungen dürfte weitgehend Konsens herrschen.
Karner hat nach den Angaben aus seinem Haus die Diskussion über die Rückkehr abgelehnter Asylbewerber nach Syrien und Afghanistan vor einem Jahr in Brüssel angestoßen. Wien führe „intensive Gespräche und Verhandlungen auf EU-Ebene sowie mit weiteren Partnern in der Region um Afghanistan“. Nach einer Entscheidung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs, die Abschiebungen nach Afghanistan rechtlich ermöglicht, gehe es nun um die technische Verwirklichung.
„Um rechtskonforme und geordnete Außerlandesbringungen nach Afghanistan in einzelnen Fällen umzusetzen, führten Beamte des österreichischen Innenministeriums operative Gespräche mit Beamten der De-facto-Behörden in Kabul zum Thema Rückkehr.“ Das geschehe im Einklang mit der im EU-Ministerrat beschlossenen Position. Österreichs Asylbehörde habe sich auch mit weiteren Mitgliedstaaten sowie der EU-Delegation in Afghanistan eng abgestimmt.
Obwohl Wien den „technischen“ Charakter der Gespräche betont, geht es den Taliban darin wohl vor allem um eine Legitimation für ihre international nicht anerkannte Regierung. So hatte das Außenministerium in Kabul im Zusammenhang mit der deutschen Rückführungsdebatte gefordert, „das Problem durch normale konsularische Interaktion, einen vernünftigen Mechanismus und eine Einigung zwischen beiden Ländern“ zu lösen.
Deutschland bemüht Drittländer als Vermittler
Anders als Österreich lehnt die Bundesregierung direkte Gespräche mit den Taliban ab und hat stattdessen Qatar gebeten, als Vermittler aufzutreten. So kam im August ein einzelner Flug mit 28 Straftätern zustande. Die Taliban wandten sich gegen Bemühungen der Bundesregierung, über Usbekistan als Nachbarland Afghanistans einen dauerhaften Mechanismus zu etablieren. Dazu gab es offenbar auch Gespräche zwischen Kabul und Taschkent.
Befürchtungen, dass die Islamisten die Rückkehrer dauerhaft inhaftieren oder anderweitig verfolgen würden, haben sich wahrscheinlich nicht bestätigt. Zumindest gehen Beobachter in Afghanistan davon aus, dass sich keine der 28 Personen im Gefängnis befindet. Die Bundesregierung hat darüber nach eigenen Angaben keine eigenen Erkenntnisse.
Zu den Gesprächen mit der österreichischen Delegation haben sich die Taliban bisher nicht geäußert. Eine Anfrage der F.A.Z. blieb unbeantwortet. Vermutlich wurde Stillschweigen vereinbart, denn gewöhnlich werden Treffen mit ausländischen Vertretern gerne publiziert und als Form der Anerkennung verkauft.
Auch Norwegen spricht mit den Taliban
Österreich ist nicht das einzige europäische Land, das direkte Gespräche mit den Taliban führt. Norwegen hat nach eigenen Angaben 2024 auf freiwilliger Basis eine geringe Zahl an Afghanen zurückgeführt, wie das Justizministerium der F.A.Z. mitteilte. Die Regierung in Oslo hält nichts von einem Kontaktverbot mit den Taliban. „Da Isolation nicht der Verbesserung der Situation vor Ort dient, unterhält Norwegen Kontakte zu ihnen bei einer Reihe von Themen“, heißt es in der Mitteilung. Dies stehe im Einklang mit den Empfehlungen zivilgesellschaftlicher Akteure in Afghanistan.
Mit der türkischen Regierung haben die Taliban einen dauerhaften Mechanismus für Abschiebungen ausgehandelt. Ankara lässt wöchentlich Afghanen nach Kabul ausfliegen. Pakistan und Iran haben ebenfalls im großen Stil afghanische Staatsbürger abgeschoben. Inzwischen wird dies von den Taliban nicht mehr scharf kritisiert, weil sie Afghanistan als stabiles und sicheres Land darstellen wollen, in das eine Rückkehr möglich sei.
Aus Wien hieß es, Österreich engagiere sich weiter für die afghanische Zivilbevölkerung, insbesondere für den Schutz von Frauen und Mädchen. Seit 2017 habe man 55,5 Millionen Euro an humanitärer Hilfe für Afghanistan geleistet und setze sich für die Weiterführung von humanitären Projekten und UN-Programmen ein.