Parteipräferenzen :
Wer bei Menschen mit Migrationshintergrund punktet

Von Lucia Baumann
Lesezeit: 3 Min.
Plakatwand mit mehreren Plakaten (Symbolbild)
Gastarbeiter wählen häufig SPD, Russlanddeutsche meist CDU? So einfach ist das nicht mehr. Eine Studie zeigt, welche Parteien bei Menschen mit Einwanderungsgeschichte gut ankommen.
Merken

Bei der anstehenden Bundestagswahl dürfen sieben Millionen Menschen mit Einwanderungsgeschichte ihre Stimme abgeben. Ihr Wahlverhalten unterscheidet sich in Teilen von dem der Wähler ohne Einwanderungsgeschichte, wie eine am Freitag in Berlin vorgestellte Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (Dezim) zeigt. Das BSW etwa konnte bei Menschen mit Migrationshintergrund, vor allem aus der Türkei, arabischen und nordafrikanischen Länder, besonders punkten.

Die Partei von Sahra Wagenknecht erhält von allen befragten Einwanderergruppen mehr Zustimmung als von Menschen ohne Migrationshintergrund. Fast die Hälfte von ihnen sympathisiert mit dem BSW. Auch mit der Linkspartei sympathisieren viele der Befragten mit Migrationshintergrund, insbesondere türkischstämmige Personen: Mehr als jeder zweite von ihnen kann sich vorstellen, links zu wählen.

Für die Gesamtheit aller Einwanderergruppen bleibt jedoch die SPD die beliebteste Partei. Insbesondere Menschen, deren Vorfahren oder die selbst aus dem EU-Ausland, der Türkei oder dem Nahen Osten eingewandert sind, machen ihr Kreuz häufig bei den Sozialdemokraten. Menschen aus Gastarbeiterländern wie der Türkei oder Italien wählten traditionell häufig SPD.

Warum wählen Menschen mit Einwanderungsgeschichte die AfD?

Von den Teilnehmern der Dezim-Studie erhält die AfD am wenigsten Zuspruch; die Zustimmung zu der Partei liegt mit gut 20 Prozent etwa gleichauf wie im gesamtdeutschen Durchschnitt. Doch warum stößt eine migrationskritische Partei bei Einwanderern und ihren Nachkommen überhaupt auf Zustimmung? „Diskriminierungserfahrung führt nicht automatisch dazu, dass Menschen Empathie für andere diskriminierte Gruppen entwickeln“, sagt Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZfTI) bei der Vorstellung der Studie. Das größte Wählerpotential hat die AfD demnach unter postsowjetischen Einwanderern, sie sympathisieren häufiger für die Partei als Menschen ohne Migrationsgeschichte.

Am stärksten ist die Zustimmung unter postsowjetischen Einwanderer aber nach wie vor für CDU und CSU. Vor allem Russlanddeutsche wählten häufig Union oder Linkspartei. „Die CDU hat an Beliebtheit eingebüßt, zugunsten der AfD“, sagt Jannis Panagiotidis über die Gruppe der postsowjetischen Migranten. Er forscht in Wien zu Spätaussiedlern in Deutschland. Die AfD habe vor allen anderen Parteien etwa Wahlunterlagen auf Russisch angeboten und diese Menschen damit direkt angesprochen. Die ehemalige Sympathie zur Linkspartei sei inzwischen kaum noch existent, stattdessen profitiert das BSW. Die alten Bindungen, auch die der Gastarbeiter und ihrer Nachfahren an die SPD, bröckeln zunehmend.

Laut Panagiotidis waren Menschen aus postsowjetischen Ländern lange Zeit die größte wahlberechtigte Einwanderergruppe. Inzwischen verschiebe sich dieses Verhältnis. Viele Wahlberechtigte stammten heute aus EU-Ländern oder haben ihre Wurzeln in der Türkei und arabischen Ländern.

Sie sorgen sich um Kriminalität und Rechtsextremismus

Für die aktuelle Studie befragten die Forscher 2689 Personen. Davon sind 248 selbst zugewandert und 393 sind direkte Nachfahren von Zugewanderten; 2048 haben keinen Migrationshintergrund. Als Menschen mit Migrationshintergrund gelten laut der Dezim-Studie all diejenigen, die selbst zugewandert sind oder von denen mindestens ein Elternteil aus dem Ausland stammt. Sie machen rund zwölf Prozent der Wahlberechtigten aus. Für die Befragten stellen Inflation und die wirtschaftliche Lage stellen derzeit die größten Probleme dar. Allerdings gaben Menschen mit Einwanderungsgeschichte häufiger an, sich um ihre Wohnsituation und die Rente zu sorgen, als Menschen ohne Migrationshintergrund. Auch Kriminalität und Rechtsextremismus bereitet ihnen größere Sorgen.

Grundsätzlich beteiligen sich Menschen mit Einwanderungsgeschichte seltener an Wahlen. Nur zwei von drei gaben an, bei der Bundestagswahl 2017 ihre Stimme abgegeben zu haben. Und die Mehrheit der Eingewanderten darf in Deutschland gar nicht wählen: 59 Prozent der Erwachsenen mit Migrationsgeschichte besitzen keine deutsche Staatsbürgerschaft und somit auch kein Stimmrecht bei Bundestags- und Landtagswahlen. Künftig wird die Gruppe der Wahlberechtigten mit Einwanderungsgeschichte jedoch weiter wachsen, unter anderem durch die heranwachsenden Kinder von Einwanderern und schnellere Einbürgerungen.

Es liege somit im Interesse politischer Parteien, Identifikationsangebote für sie zu schaffen und ihre Probleme zu adressieren, hieß es bei der Vorstellung der Studie. „Die Parteien müssen sich darauf einstellen, dass man künftige Wahlen nicht nur gewinnt, wenn man allein die deutsche Bevölkerung ohne Migrationshintergrund anspricht“, sagt Forscher Ulusoy vom ZfTI. Der Nahostkonflikt sei etwa ein Thema, das viele Menschen aus muslimisch geprägten Ländern am Herzen liege. „Linke und BSW nehmen hier eine deutlich andere Position ein als die großen etablierten Parteien“, sagt er. Damit holten sie vor allem junge Wähler ab, die noch keine Parteibindung entwickelt haben.

  翻译: