FAZ+Goldene Zwanziger :
Die Fülle der Zeit

Von Jörn Leonhard
Lesezeit: 12 Min.
Bühnenbild des 1. Aktes der Urauffuehrung des Lustspiels: 'Der entfesselte Zeitgenosse' von Carl Sternheim, Regie: Gustav Harting, Hessisches Landestheater Darmstadt - Aufnahme: Nini & Carry Hess- Erschienen in: 'Die Dame' 15/1921
Rückblick in die Zukunft: Wenn etwas die Zwanzigerjahre des 20. Jahrhunderts charakterisierte, dann die Gleichzeitigkeit von Globalisierung und Polarisierung. Ein Gastbeitrag.
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Das Frühjahr 1919 erschien Ernst Troeltsch in Berlin angesichts von Kriegsende, Revolution und tastenden Neuanfängen wie ein „Traumland der Waffenstillstandsperiode“. Nach den dramatischen Umbrüchen seit dem Herbst 1918 setzte der Berliner Theologe nicht mehr wie noch im Sommer 1914 auf bürgerlichen Patriotismus, sondern auf den „guten Kern des Sozialismus und das auch durch keine Restauration aufhaltbare Drängen zur Demokratie“. Wie wenige andere Zeitgenossen spürte er dabei dem Zusammenhang zwischen politischer und wirtschaftlicher Entwicklung nach, dem Durchbruch zur Massendemokratie und den Bedingungen eines globalen Kapitalismus. Von der „Entwicklung des „Völkerbundes und der Weltrationierung der Rohstoffe“ bis zur „Gestaltung der Lohnverhältnisse“ handelte es sich nun um Prozesse, die weit über Europa hinauswiesen. Angesichts des Nebeneinanders so vieler widersprüchlicher Ereignisse zog er in dem ersten Brief, der er unter dem Pseudonym Spectator im Februar 1919 in der Zeitschrift „Kunstwart und Kulturwart“ veröffentlichte, eine Bilanz, in der Skepsis und Neugierde dicht nebeneinanderlagen: „Die ganze Welt wird anders. Es ist noch lange nicht aller Tage Abend.“

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