Stoßrichtung Habeck :
Atomausschuss will Klarheit zur Abschaltung

Von Christian Geinitz, Berlin
Lesezeit: 3 Min.
Die Minister für Umwelt und Wirtschaft, Lemke (links) und Habeck, stehen im Untersuchungsausschuss im Fokus.
Mehrere Hundert Zeugen, Zehntausende Seiten Aktien und keine KI-Unterstützung. Der Ausschuss zum vorzeitigen Atom-Aus hat eine Mammut-Aufgabe zu bewältigen. Doch Beobachter unterstellen der Union vor allem ein Ziel.

Das wäre einmal eine lohnende Arbeit für Künstliche Intelligenz: Der parlamentarische Untersuchungsausschuss zur Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke nach dem russischen Überfall auf die Ukraine will mehrere Hundert Zeugen vernehmen und Zehntausende Seiten Akten sichten. Allein in der vorvergangenen Sitzungswoche des Bundestags sind 60.000 Blätter hinzugekommen. Alles ist elektronisch erfasst, die Suchfunktion funktioniert, dennoch dürfen die elf Abgeordneten im Gremium, ihre elf Stellvertreter und die drei Ausschussmitarbeiter die Texte nicht von einer KI durchforsten lassen, aus Datenschutzgründen.

Dabei wäre es sicher vielversprechend oder zumindest zeitökonomisch, der Digitaltechnik die entscheidende Frage zu stellen: „Ergibt sich aus den Unterlagen und Zeugenbefragungen, dass die Bundesregierung Ende Februar und Anfang März 2022 tatsächlich, wie öffentlich bekundet, den Weiterbetrieb der letzten drei Nuklearanlagen transparent und unvoreingenommen überprüfte? Oder stand das Ergebnis, zum 31. Dezember 2022 endgültig vom Netz zu gehen, von vornherein fest, aus politischen, ideologischen oder aus grün-parteilichen Gründen?

Letzteres vermutet die Unionsfraktion im Parlament und hat deshalb als stärkste Oppositionskraft das Prüfgremium durchgesetzt. Offiziell heißt es Zweiter Untersuchungsausschuss – der erste in diese Legislatur drehte sich um den Rückzug aus Afghanistan – inoffiziell wird die Runde Atomausschuss und noch inoffizieller Habeck-Untersuchungsausschuss genannt.

Verantwortliche Ministerien liegen in Grünen-Händen

Denn verantwortlich für den entsprechenden Prüfvermerk mit Datum vom 7. März 2022, trotz der sich abzeichnenden Versorgungs- und Preiskrise auf eine Laufzeitverlängerung zu verzichten, waren Habecks Wirtschaftsministerium und das Umweltministerium von Steffi Lemke; beide Politiker gehören den Grünen an. Es gibt Anhaltspunkte, dass die Hausleitung, vor allem die zuständigen Staatssekretäre und andere hohe Beamte, das Atom-Aus durchgesetzt haben, obwohl die eigenen Fachabteilungen zu abweichenden Empfehlungen gekommen waren (F.A.Z. vom 21. September).

Dabei stellten sich deren Einschätzungen im Nachhinein als richtig heraus. Denn nach dem Machtwort von Kanzler Olaf Scholz (SPD) im Oktober 2022 war es problemlos möglich, die Kraftwerke bis Mitte April 2023 am Netz zu belassen: Nicht nur die Minister und hohen Beamten hatten sich geirrt, sondern auch die Kraftwerksbetreiber, die ihnen zum Abschalten geraten hatten.

Nun gibt es keine KI, die sagen könnte: Wer hat womöglich damals wie gefingert? Daher muss der Ausschuss dicke Bretter bohren. Am Donnerstag hat dieser mit der sogenannten Beweisaufnahme begonnen, der Zeugenbefragung. Man arbeitet sich hierarchisch von unten nach oben vor. Zunächst wurden am Donnerstag unter anderem Referatsleiter aus Lemkes Haus zum Zustandekommen der atomkritischen Vermerke gehört.

Minister und der Kanzler stehen auf der Zeugenliste

Am Ende des Ausschusses rund um Ostern 2025 dürften auch Scholz, Habeck und Lemke vernommen werden; letztere steht schon auf der Zeugenliste. Auch die Staatssekretäre Stefan Tidow und Patrick Graichen (beide Grüne), werden wohl geladen, wobei Graichen heute nicht mehr im Amt ist. Dieser Zeuge stürzte im Mai 2023 über die Trauzeugenaffäre.

Dass der Ausschuss von der Union nach Habeck benannt wird, hat politische Gründe, auch wenn die Fraktion das zurückweist. Der Minister könnte Kanzlerkandidat der Grünen werden, im Ausschuss will die Opposition ihn deshalb „grillen“, wie es in Berlin genannt wird, also vorführen und schwächen; Lemke steht dabei viel weniger im Fokus. Die Union hat auch die meisten Zeugen benannt, die Rede ist von 500. Von diesen sollen nach Aussage des Ausschussvorsitzenden Stefan Heck (CDU) 300 persönlich erscheinen.

Das schürt in der Ampel den Verdacht, die Opposition wolle das Verfahren in den Vorwahlkampf hineinziehen. Tatsächlich kam das Afghanistan-Gremium mit nur 50 Zeugen aus. Die Union hat am Donnerstag die Einsetzung eines Ermittlungsbeauftragten durchgesetzt, der im Auftrag des Ausschusses Zeugen befragen kann, um die Angelegenheit zu beschleunigen. Die Personalfindung läuft, möglicherweise kommt ein ehemaliger Bundestagsabgeordneter der CDU zum Zuge, der bestenfalls auch das Vertrauen anderer Fraktionen genießt.

Andreas Lenz von der CSU sagte am Donnerstag, der Ausschuss wolle auch herausfinden, ob die Kraftwerke noch länger hätten weiterlaufen können als im sogenannten Streckbetrieb bis zum Frühling 2023. In Berlin wird gemutmaßt, dass die Union damit auch Argumente sammeln will, um im Wahlkampf über eine mögliche Rückkehr zur Kernkraft zu diskutieren. Tatsächlich heißt es in einem Antrag zum CSU-Parteitag am Wochenende in Augsburg, die Partei „fordert die Weiternutzung und Weiterentwicklung der Kernenergie“. Im CDU-Grundsatzprogramm steht das nicht so eindeutig, entscheidend wird das gemeinsame Wahlprogramm sein. Angeblich könnten fünf der sechs zuletzt abgeschalteten Kraftwerke reaktiviert werden. Eine Bereitschaft der Betreiber dazu ist aber nicht erkennbar.

  翻译: