TKMS-Chef Burkhard : „Wir sind kein Pflegefall mehr“
Für die Verteidigung unter Wasser galt statt Zeitenwende lange Zeitlupe – doch inzwischen ist Tempo reingekommen in den Aufbau der militärischen Fähigkeiten auf hoher See. Besonders U-Boote sind ambitionierte Projekte: Sie sind teuer, es werden meist nur wenige Stückzahlen produziert, und ihre Herstellung dauert lange. „Darin steckt auch eine hohe Symbolik, fast jeder kennt ‚Das Boot‘“, sagt Oliver Burkhard, der Chef von Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS), der Marinesparte des Essener Industriekonzerns.
Mit heutigen U-Booten hat das aber kaum noch etwas zu tun. Geschossen wird vor allem im Film, in der Realität sind Abhören und Abschrecken die Hauptaufgaben der Unterwasserboote. Und Komplexität hat eben ihren Preis: Ein modernes U-Boot von TKMS hat 300.000 sicherheitsrelevante Teile. Das ist zehnmal so viel, wie in einem normalen Airbus verbaut sind. Auf einen Meter U-Boot kommt ein Kilometer Kabel. Das Unterwassergefährt muss sich praktisch unsichtbar machen können. Und weil das meist gelingt, werden U-Boote auch gerne 40 Jahre und mehr genutzt.
Das Orderbuch füllt sich
Kurz vor Weihnachten hatte sich TKMS einen Auftrag der Bundesregierung über vier U-Boote im Wert von fast fünf Milliarden Euro gesichert. Das Gesamtvolumen des Auftrags könnte sich durch noch ausstehende U-Boot-Bestellungen aus Norwegen bald noch auf rund 7,5 Milliarden Euro erhöhen. Das Orderbuch könnte sich in diesem Jahr sogar darüber hinaus durch Bestellungen aus anderen Ländern füllen, unter anderem etwa durch einen möglichen Auftrag aus Australien. Zusammen mit dem Wettbewerber Mitsubishi Heavy Industries aus Japan ist TKMS dort in der letzten Ausscheidungsrunde für den Auftrag. Hier geht es um den Bau einer neuen Flotte von Mehrzweckfregatten im Wert von rund zehn Milliarden australische Dollar (rund 6,02 Milliarden Euro).
Insgesamt seien die Auftragsbücher inzwischen so voll, dass es durch die langen Entwicklungs- und Produktionszyklen sogar mit den Kapazitäten knapp werde, sagt Burkhard. „Wenn jetzt noch etwas unvorhergesehen zusätzlich reinkäme, müssten wir womöglich sagen: ,Hinten anstellen‘“, sagt Burkhard. „Das ist natürlich eine privilegierte Situation als Verkäufer. Man könnte sagen: Die Bäckerbude geht so gut, dass die Schlange draußen immer länger wird.“ Mit dem Erwerb der Werft in Wismar sei man derzeit gut für die neuen Aufträge aufgestellt, aber falls darüber hinaus sehr viele weitere neue Aufträge kämen, müsse TKMS darüber nachdenken, neben den jetzigen Standorten Kiel und Wismar noch eine dritte Werft in Betrieb zu nehmen. „Werftstandorte gibt es genug, und es stehen auch immer wieder welche zum Verkauf“, sagt Burkhard. Aber das sei noch Zukunftsmusik, „nicht die Geschichte, die ich schon heute erzählen möchte“.
Oberstes Ziel ist ein Spin-off
Noch gehört TKMS zu Thyssenkrupp, doch will sich die Marinetochter eigenständig aufstellen. Nach dem geplatzten Einstieg des amerikanischen Private-Equity-Investors Carlyle ist aber noch unklar, welchen Weg der Herauslösung aus dem Konzernverbund TKMS einschlägt. Nun drückt Burkhard, der noch bis Ende des Monats gleichzeitig Personalvorstand der Thyssenkrupp AG ist, aufs Tempo. „Uns haben einige Kaufinteressenten geschrieben, und wir werden uns jetzt schnell die Karten neu legen, noch im Januar“, sagt er.
„Wir gehen verstärkt in Richtung Spin-off“, sagt Burkhard, also geht der Vorstand davon aus, dass sich die Sparte per Börsengang verselbständigen wird. Zusätzlich sagt Burkhard: „Ich bin für einen Staatseinstieg.“ Deutschland müsse ein Interesse daran haben, dass der hochkomplexe Bau militärischer U-Boote in Deutschland bleibt. Für die Bundesrepublik sei das schließlich als „Schlüsseltechnologie“ definiert.
„Nicht eitel, aber selbstbewusster“
Einen Börsengang von TKMS, kombiniert mit einer Minderheitsbeteiligung des Bundes, hatte Thyssenkrupp schon früh zum Plan A erklärt, kurz nachdem Carlyle sein Interesse zurückgezogen hatte. Aber auch für den Einstieg eines anderen Investors hatte sich der Konzern weiter offen gezeigt, und seither sind zahlreiche Gerüchte über mögliche Interessenten laut geworden. Ein Verkauf an einen einzelnen Investor bleibt wohl die unwahrscheinlichere Variante. „Wir sind nicht eitel, aber selbstbewusster geworden“, sagt Burkhard mit Blick auf die weltpolitischen Spannungen und die größere Wichtigkeit des Themas Verteidigung. „Unsere Firma entwickelt sich gut, und wir können auch allein bestehen.“
Die Verselbständigung strebe TKMS jedenfalls aus einer Position der Stärke an. „Wir sind kein Pflegefall mehr, wie noch vor zwei oder drei Jahren“, sagt Burkhard, „aber wir brauchen Investitionen.“ An Geld, um eine Wachstumsstory zu finanzieren, fehlt es im klammen Thyssenkrupp-Konzern, der parallel versucht, seine Not leidende Stahlsparte in die Teilselbständigkeit zu führen, und zusätzlich noch im Autozulieferer-, Materialhandelsgeschäft und Anlagenbau unterwegs ist. „Thyssenkrupp wirkt von außen vielleicht wie ein Haufen bunter Knete“, sagt Burkhard. „Das ist vielen Anlegern nicht so leicht zu erklären, und das sieht man am Aktienkurs.“ Der dümpelt derzeit bei vier Euro. Um alle heutigen Sparten unter einem Dach zu halten, sei „das Hemd zu kurz“.
Die aktuelle Krise ist besonders herausfordernd
Ob Eierwürfe auf den Vorstand, die Blockaden als Mittel gegen die Werkschließung in Rheinhausen oder gar der Sturm auf die Villa Hügel – Proteste gab es in der Thyssenkrupp-Geschichte viele. Die Krise, in der sich der Konzern im Moment befindet, sieht Burkhard aber als eine der schwersten: „Die Herausforderung hatte noch kein Vorstand der AG oder des Stahlbereichs: eine grüne Transformation bei gleichzeitig sich sehr verändernden Märkten, einhergehend mit einem Schwächeln der Automobilkonjunktur.“ Den Stahl aus dem Konzern auszugliedern sei richtig. Ob es funktionieren werde? Zwischen den Zeilen klingen da Zweifel an: „In den vergangenen 13 Jahren haben wir viele Versuche unternommen.“ Funktioniert hat davon keiner. Fest stehe: Für das Sorgenkind Stahl werde künftig das noch vorhandene Geld aus dem lukrativen Verkauf der Aufzugsparte benötigt, von der sich der Industriekonzern vor bald fünf Jahren für mehr als 17 Milliarden Euro trennte.
Mit Blick auf die ambitionierten Wachstumspläne der Marinesektion soll daraus ein logischer Schritt folgen: sie auszugliedern. Allein der Bau einer sogenannten Druckkörpertaktstraße, des Herzstückes einer Werft für die U-Boot-Herstellung, koste um die 100 Millionen Euro, rechnet Burkhard vor. In seinem Büro zeigt der Manager das an einem kleinen Modell, das gegenüber seinem Schreibtisch steht. Solche Druckkörper befinden sich innerhalb der Außenhülle und sind in verschiedene Segmente geteilt. Sie herzustellen erfordert große Präzision – und sie sind praktisch der Flaschenhals in einer Produktion. In Kiel hat TKMS eine solche Produktionsstraße, in Wismar will das Unternehmen eine weitere Anlage errichten. Um all die neuen Aufträge abzuarbeiten, braucht es auch 1500 neue Beschäftigte am Standort.
Interessenten laufen sich warm
Nach dem Absprung des Finanzinvestors Carlyle haben sich zahlreiche Interessenten ins Spiel gebracht. Gehandelt wird etwa der Kölner Motorenhersteller Deutz , der zukünftig ein Rüstungsgeschäft aufbauen möchte – wozu eine Beteiligung an TKMS auch passen könnte. Dass der S-Dax-Konzern als einziger Investor bei TKMS einsteigen könnte, ist allein aus Größenaspekten unwahrscheinlich, zudem wird Deutz derzeit selbst gehörig umgebaut. Berichtet hatte über den Vorstoß das „Handelsblatt“, der Motorenhersteller kommentiert das nicht. Öffentlich viel stärker tritt der italienische Werftenkonzern Fincantieri auf, dessen Chef Pierroberto Folgiero sich schon mehrfach als möglicher Partner selbst ins Spiel brachte.
Eine gewisse Logik hätte ein Einstieg des größten deutschen Rüstungskonzerns Rheinmetall , um einen großen deutschen Militär-Champion zu formen. Geld hat der Düsseldorfer Dax-Konzern genug, allerdings ist der seit Ausbruch des Ukrainekriegs durch Zukäufe und Produktionsausbau schon stark gewachsen und muss auch das unter einen Hut bringen. Für die Aktionäre von Rheinmetall dürfte zudem das Versprechen des Vorstandschefs Armin Papperger über stark steigende Margen ein wichtiger Faktor sein – und die liegen heute schon über denen von TKMS. Zu all dem äußert sich Burkhard nicht. Die Aussage des Unternehmens ist schon länger, dass es von mehreren Unternehmen „Interessensbekundungen für eine mögliche Partnerschaft“ gebe. „Diese Interessensbekundungen unterliegen selbstverständlich der Vertraulichkeit.“
Was in der Branche ohnehin klar ist: Der Staat redet immer mit, bei Bestellungen wie im Export. Dass er sich irgendwie beteiligt an einer Ausgliederung, ist daher auch nicht unwahrscheinlich. Eine mittelfristige europäische Konsolidierung der Branche wäre aus Burkhards Sicht „erst der zweite Schritt“, aber im Grunde wünschenswert. Ein europäischer Champion wie bei Airbus ist allerdings aus heutiger Sicht noch weit entfernt, selbst wenn es zahlreiche Rüstungskooperationen über Ländergrenzen gibt. Denn jedes Land habe eigene Interessen – und da sei der maritime Sektor keine Ausnahme, sagt der Rüstungsmanager. „Wenn Sie in Europa eine Fregatte bestellen, dann haben Sie die Auswahl aus 26 verschiedenen Typen.“